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Grafik zum Thema Startups: Eine große Hand greift nach einem rennenden Mann mit einem Koffer voller Geld

Investitionen in Gesundheits-Start-ups: Das Rennen ist eröffnet

Die Gesundheitsversorgung muss besser werden. Das ist der erklärte politische Wille hinter dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG). Zur Optimierung der Versorgungsqualität dürfen die Gesetzlichen Krankenkassen (GKK) jetzt auch via Venture Capital Fonds (VCs) in Start-ups investieren. Während die gesetzlichen Krankenkassen gerade beginnen, sich zu orientieren, sind die Privaten Krankenkassen bereits erste Beteiligungen eingegangen

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Dr. Katharina Ladewig hat den Adlerblick auf den Markt der europäischen Gesundheits-Start-ups: 300 junge Unternehmen aus der DACH-Region sind in den vergangenen fünf Jahren durch die Bewertungsprogramme ihrer Institution gelaufen, auf europäischer Ebene sogar mehr als 1000. In der Modernisierung unseres Gesundheitswesens kommt der Geschäftsführerin von EIT (European Institute of Innovation and Technology) Health in Deutschland damit eine Schlüsselrolle zu. Denn die Gesundheitsversorgung soll schnellstens besser werden. Das ist der erklärte politische Wille hinter dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG).

Das Venture Center of Excellence (VCoE) soll GKKs bei Investitionen in Gesundheits-Start-ups unterstützen

In Rahmen des DVG haben das Gesundheitsministerium und dessen Think Tank, der Health Innovation Hub (hih), ein strukturiertes europaweites Programm von EIT Health als idealen Fit identifiziert, das die Gesetzlichen Krankenkassen (GKK) künftig bei Investitionen in vielversprechende Gesundheits-Start-ups beraten und unterstützen soll: das „Venture Center of Excellence“ (VCoE). Die Krankenkassen können dieser Institution nun auch beitreten, neben Forschungseinrichtungen, Universitäten, Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen und Krankenkassen anderer Länder. Das VCoE fungiert als Plattform und koordiniert innerhalb seiner Mitgliederunternehmen und -Institutionen Finanzierungsrunden mit relevanten Start-ups.

Das VCoE wurde im Oktober 2020 vom EIT Health und EIF gründet

Aus der Taufe gehoben wurde das VCoE Anfang Oktober 2020 vom EIT Health, gemeinsam mit dem von der EU-Kommission finanzierten European Investment Fund (EIF). Die EU hatte das EIT 2005 als Körperschaft der EU mit Sitz in Budapest ins Leben gerufen, um als Forschungseinrichtung ein europäisches Gegengewicht zum amerikanischen Massachusetts Institut of Technology (MIT) zu bilden. 2015 erfolgte die Gründung des EIT Health. Seine Aufgabe: Innovationen in gesellschaftlich wesentlichen Bereichen wie der Gesundheit zu fördern, vor allem durch Vernetzung von Wissenschaft und Industriepartnern. Der EIT Health hat heute 150 Mitglieder in Europa, ein Drittel kommen aus der Industrie, ein Drittel sind Hochschulen und ein Drittel sind „Enabler“ wie Krankenhäuser und Krankenkassen, aber auch Inkubatoren und Acceleratoren. Auf dieses Netzwerk können die deutschen GKKs jetzt auch zurückgreifen. „Wir wollen Europa innovationsfähiger machen und arbeiten am Gesundheitssystem der Zukunft in einer alternden Gesellschaft“, formuliert Dr. Katharina Ladewig ihre klaren Vorgaben.

Das Investitionsziel in Gesundheits-Start-ups: 2 Milliarden in 15 Jahren

Mit der Installation des „Venture Center of Excellence“ ist das Rennen zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen um die zukunftsträchtigsten Gesundheits-Start-ups Europas endgültig eröffnet. Denn mit dem Beschluss des DVG wurde im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) auch der neue §263a eingeführt. Demnach können die GKKs „insgesamt bis zu zwei Prozent ihrer Finanzreserven in Anteile an Investmentvermögen“ in digitale Innovationen anlegen – im Klartext: Sie dürfen sich ab sofort auf breiter Front an Fonds beteiligen, die in Gesundheits-Start-ups investieren. Als digitale Innovationen definiert §68a SGB V digitale Medizinprodukte, telemedizinische Verfahren sowie IT-gestützte Verfahren in der Versorgung. Die Novelle ist damit Geburtshelfer für eine neue Klasse von Wagniskapitalgebern. Und den Start-ups im Gesundheitswesen erschließen sich auf einen Schlag neue Kapitalquellen und Beteiligungsmodelle.

Profitieren sollen von den neuen Rahmenbedingungen am Ende das gesamte Gesundheitswesen sowie unsere Gesellschaft. Und natürlich geht es dabei um Geld, um sehr viel Geld sogar: Die Finanzreserven aller gesetzlichen Kassen beliefen sich Ende 2019 auf knapp 20 Milliarden Euro. Damit summiert sich das Investmentpotenzial der GKK auf 400 Millionen Euro. Zwar sind durch Mehrkosten aufgrund der Corona-Pandemie die Rücklagen und damit das zulässige Investitionsvolumen zeitweise deutlich geschrumpft. Aber Dr. Katharina Ladewig und das EIT Health haben ohnehin Größeres im Blick: „Ziel ist es, insgesamt zwei Milliarden Euro innerhalb der kommenden 15 Jahre ausschließlich in europäische Start-ups zu investieren“, sagt sie. Kapital, das neben den Krankenkassen weitere Investoren einbringen.

Das Konzept von EIT Health sieht vor, dass jede Krankenkasse einzeln oder im Verbund über einen „Token“ zunächst fünf Millionen Euro in den VCoE investiert. Hinzu kommen Beiträge weiterer Akteure aus den Bereichen Pharma, Medtech, Versicherungen und Forschung, sodass insgesamt in ersten Investmentrunden bis zu 50 Millionen Euro investiert werden können. Die EU-Kommission hat zugesichert, diesen Betrag mit EU-Mitteln auf 200 Millionen Euro aufzustocken, sagt Dr. Katharina Ladewig. Der European Investment Fund wählt dann 10-15 Venture Capital (VC)-Firmen aus, über die die Gelder in Start-ups investiert werden. Um am Ende auf die zwei Milliarden Euro zu kommen, werden diese 200 Millionen Euro sowie bis zu 750 Millionen Euro von Corporate Investoren und gut eine Milliarde Euro von Venture Funds eingebracht.

Vorsprung der Privaten Krankenkassen

Derartige Summen stehen den Privaten Krankenkassen (PKV) möglicherweise auch langfristig nicht zur Verfügung. Dafür können sie aber schneller und fokussierter vorgehen. 20 private Krankenversicherer haben ihre Beteiligungsgesellschaft Heal Capital für den Anfang mit 90 Millionen Euro ausgestattet. „Das ist kein Spielgeld, sondern wird von einem professionellen Fondsmanagement intelligent und nach genauer Analyse angelegt. Die Auswahl überlassen wir komplett dem Fondsmanagement“, sagt PKV-Sprecher Stefan Reker. Und das legt großen Ehrgeiz an den Tag: „Wir sind mit Heal Capital mit der Vision angetreten, den führenden europäischen VC-Fonds für die Schnittstelle zwischen Gesundheitswesen und Technologie zu etablieren”, sagt Christian Weiß, Geschäftsführer von Heal Capital.

Sein Fonds hat nach eigenen Angaben bereits 1500 Gesundheits-Start-ups unter die Lupe genommen. In drei davon wurde 2020 investiert: Erstes Engagement war das niederländische Start-up Siilo. Das Unternehmen hat eine App als Klinik-Kommunikationstool entwickelt – und auch schon in zahlreichen Kliniken Europas im Einsatz. Siilo hat sich nichts weniger zum Ziel gesetzt, als so etwas zu werden, wie das WhatsApp des Gesundheitswesens. Das zweite Investment, Infermedica ist eine digitale Plattform für diagnostische Empfehlungen und Ersteinschätzungen von Symptomen, die in der Primärversorgung von Patienten zur Anwendung kommt. Mit KI-Algorithmen und Machine Learning unterstützt das HealthTech-Unternehmen Versicherungen und Gesundheitsdienstleister dabei, eine effektive Patientenversorgung zu gestalten, etwa durch die Vorabdiagnose von Patienten durch telemedizinisches Personal. Das jüngste Heal-Capital-Investment ging in den Bereich der Therapie: CereGate hat eine Software-Plattform für Neuromodulations-Therapien entwickelt. Mithilfe von Implantaten im Gehirn oder im Rückenmark können Symptome wie Gang- und Gleichgewichtsprobleme, zum Beispiel bei Parkinson-Patienten, behandelt werden.

Die Transformation der Krankenkassen – vom Verwalter zum Investor

Derartige Startup-Investments sind eine komplett neue Herausforderung für Krankenkassen, die bislang eher als Verwalter des Gesundheitswesens agierten. Das Vorgehen der GKK erfolgt dabei künftig nach einer anderen Struktur als bei den PKVen. „Es geht nicht darum, Start-up-Beteiligungen nach eigenem Gusto aufzubauen, sondern das erklärte Ziel des neuen §263a ist es, Versorgungslücken zu schließen. Und die Kassen wissen besser als andere, wo diese Versorgungslücken sind. Jetzt bekommen sie die Möglichkeit, diese auch anzugehen“, sagt Dr. Henrik Matthies, Managing Director des Health Innovation Hub des Bundesgesundheitsministeriums. „Die Kassen verfügen über das tiefste Verständnis des Gesundheitswesens und seiner Regulatorik. Sie können damit nicht nur Versorgungslücken identifizieren, sondern auch neue Lösungen von Gesundheits-Start-ups rascher als andere in die Versorgung bringen“, so Matthies weiter. „Das ist die Voraussetzung dafür, dass diese von Kassen in ganz Deutschland erstattet werden. Genau dieses Market-Access-Knowhow fehlt fast allen Unternehmen, die neu ins Gesundheitswesen kommen.“

Aufnahme von begutachteten Gesundheits-Start-ups in Datenbank des VCoE

Derzeit beginnt das VCoE mit dem Aufbau einer Datenbank, in der zum einen von EIT Health begutachtete Gesundheits-Start-ups aufgenommen werden. Kassen, die sich der Institution anschließen, geben zum anderen an, welche Versorgungslücken sie schließen wollen – wie zum Beispiel mehr KI in der Krebsvorsorge – und welche Investmentstrategie sie verfolgen. „Die Krankenkassen erhalten dann Einblicke in den kompletten Dealflow der beteiligten VCs. Sie erfahren, wenn diese in ein Start-up investieren wollen, das zu der Krankenkassenstrategie passt und erhalten vom EIF passende Angebote für Co-Investments“, erläutert Dr. Henrik Matthies den Ablauf.

Dr. Katharina Ladewig registriert bereits „ein großes Interesse und starke Neugierde“ bei den gesetzlichen Kassen dafür, wie Investments in Gesundheits-Start-ups funktionieren. „Das Programm bietet tolle Möglichkeit, auch für kleine Kassen in kurzer Zeit hochinnovative Start-ups zu sehen zu bekommen, diese zu begleiten und sich an den für sie interessantesten Start-ups zu beteiligen.“

Vorteile auch für Gesundheits-Start-ups

Auch für die jungen Unternehmen ist das nun gebildete Fondkonstrukt von Vorteil, ist Jürgen Graalmann überzeugt, Geschäftsführender Gesellschafter der Konzept- und Beteiligungsagentur Die BrückenKöpfe: „Die Start-ups schauen sich zwar jeweils ein bestimmtes Problem an. Aber sie haben zu oft keinen Einblick in die komplexen Versorgungsstrukturen entlang der Versorgungskette von präventiven Maßnahmen über Diagnose, Therapie und Rehabilitation bis hin zur Pflege. Das ist aber wichtig, um mit digitalen Lösungen die Versorgung zu verbessern.“ Er glaubt, es werde deshalb auch bald „eine große Ernüchterung“ in Bezug auf die überzogenen Erwartungen von Start-ups und VCs bei den Digitalen Gesundheits-Anwendungen (DiGAs) geben.

„Die meisten Anbieter haben zwar eine schlaue Idee, aber kennen sich in den Strukturen des Gesundheitswesens nicht aus. Zudem bildet die gesetzliche Konzeption der DiGAs nur einen Teilbereich, weil Prävention und Pflege ebenso wenig inkludiert sind wie digitale Plattform-Ansätze. Um mit ihren Lösungen in die Regelversorgung zu kommen, sollten die Start-ups vielmehr eng mit Krankenkassen zusammenarbeiten, um den ‚standard of care’ zu erreichen und damit elementarer Bestandteil des Versorgungsgeschehens werden zu können.“ Sein Unternehmen ist zum Beispiel gerade dabei, mit Gesundheits-Start-ups Ideen zu entwickeln, wie Laborberichte für den Patienten verständlicher gemacht werden können. Gleichzeitig baut Jürgen Graalmann über seine bestehende Venture-Entität einen eigenen Fonds auf, den BrückenKöpfe Leonardo Invest, über den beispielsweise Krankenkassen in digitale Innovationen investieren wollen. Er ist seit 25 Jahren im Gesundheitswesen aktiv: bis 2015 war er zuletzt Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands.

Einsteigen ins Rennen um die Gesundheits-Start-ups wird womöglich bald auch Bitmarck, ein Digitalisierungsdienstleister der gesetzlichen Kassen, der 25 Millionen Versicherte überwiegend der DAK sowie von Betriebs- und Innungskrankenkassen vertritt. „Wir diskutieren gerade die Optionen“, bestätigt Sprecher Andreas Pschera gegenüber Digitales Gesundheitswesen. Am frühesten am Start war übrigens die Barmer GEK: Sie hatte bereits im Jahr 2016 fünfzehn Millionen Euro in einen Healthtech-Fonds des Frühphaseninvestors Earlybird investiert. Das Investment der BARMER ist besonders gegen Ausfallrisiken gesichert und stand letztlich für den finalen Entwurf des DVG Pate, auf dessen Basis die GKKs jetzt auf breiter Front ins Rennen um die zukunftsträchtigsten Gesundheits-Start-ups einsteigen können.

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