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Thomas Kleemann, Leiter der IT-Abteilung bei Klinikum Ingolstadt GmbH

„Es ist noch nichts verloren, aber wir müssen mehr Gas geben“

Thomas Kleemann, Leiter der IT-Abteilung bei Klinikum Ingolstadt GmbH, über zeitgemäße Personalrekrutierung und -Weiterbildung im Spannungsfeld von Telematik-Infrastruktur (TI), Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), §75C und Corona.

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Kliniken wie Ihre stehen vor einem Berg an Herausforderungen im Rahmen der digitalen Transformation. Vor allem relative Knappheit des gut ausgebildeten IT-Personals ist hier ein Schlüsselfaktor. Welche Erfahrungen machen Sie diesbezüglich?

Ich sehe da nicht so schwarz wie so mancher. Aber das Thema ist wirklich eine gigantische Herausforderung. Das beginnt schon bei den Stellenplänen. Die sind in unserer Branche oft steinalt und keinesfalls zeitgemäß oder auf das zugeschnitten, was wir brauchen. Und für den Bewerbermarkt kaum attraktiv. Die Stellenpläne müssen so gemacht sein, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit selbsterfüllend erledigen können. Wir holen uns aktuell immer mehr Hightech ins Haus, aber am Ende fehlt es dann am guten IT-Personal, das diese Programme auch betreut. Nehmen Sie das Beispiel Patientendatenmanagement-System, das gerade eingeführt wird. Das lässt sich nicht stellenneutral einführen, da muss man auch die Hersteller ins Boot holen, die die Software so programmieren, dass diese einfacher vor Ort zu implementieren ist. Schöne Software zu verkaufen ist das Eine. Sie auch richtig zu betreiben, ist das Andere.

Welche Rolle spielt bei dieser Entwicklung das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG)? Hilft es oder ist es eher eine aktuelle Belastung?

Beim KHZG habe ich zum Beispiel die Sorge, dass die vielen schönen Softwarelösungen, die jetzt von den Kliniken dank Fördermitteln eingekauft werden, in vier bis fünf Jahren einschlafen. Die entscheidenden Fragen lauten doch: Wer betreut denn die ganzen Programme? Welche Fremdfirmen kaufe ich mir ein? Und welches eigene Personal benötige ich dazu? Also auch die „Make-or-Buy“-Entscheidung muss gut vorbedacht werden. Wer jetzt zwei bis drei Millionen Euro investiert, gefördert vom KHZG, der muss auch rechtzeitig bedenken, wie er die Sache anschließend nachhaltig betreibt. Und dafür braucht man einen Personal- und Entwicklungsplan. Und man muss sich selber als attraktiver Arbeitgeber darstellen, um auch das Personal zu finden, das man haben möchte.

Wie können die kleineren Häuser dieser Falle entgehen?

Das muss man kreativ angehen. Zum Beispiel müssten die kleinen mit den großen Krankenhäusern kooperieren und etwa IT-Dienstleistungen gemeinsam mit diesen betreiben, anstatt nachher an den Fördermitteln zu ersticken. Wir haben beispielsweise jahrelang ein Einweiserportal mit anderen Kliniken gemeinsam betrieben. Und wir sind zusammen mit anderen 18 Krankenhäusern Teil des Neurovaskulären Versorgungsnetzwerks für Südwestbayern (NEVAS) zur modernen Schlaganfallbehandlung. Drei große Kliniken übernehmen hier die Befundung, und der Rest der kleineren Häuser sendet die Bilder an die großen Häuser. Die Server dazu stehen bei uns in Ingolstadt, die von uns auch betreut werden. Und so etwas lässt sich auch für andere Bereiche umsetzen. Man muss nur überlegen, wo das Sinn macht, zum Beispiel im Bereich eines Langzeitarchivs. Damit sinken die Kosten oder die Kosten bleiben gleich, aber der Betrieb ist nachhaltig gewährleistet, die Projektlaufzeit wird kürzer und der Personalbedarf geringer.

Sehen Sie noch andere kreative Ansätze?

Wenn man sich da hinein vertieft, ist weitaus mehr denkbar, Stichwort Kooperation und Kollaboration. Also lässt sich nicht Hightech noch besser bündeln? So könnte etwa ein größeres Klinikum ein Rechenzentrum für andere Kliniken mitbetreiben. Mit seinem Personal kann das größere Haus dann den einen oder anderen Ausfall kompensieren. Aber wenn in einer kleineren Klinik ein Mitarbeiter in der IT kündigt, geht das Haus ja schon in die Knie. Auch überall wo ich für jemand anderen Cloud sein kann, lässt sich das verbinden. Wir könnten das unter uns Kliniken machen und hätten weniger Probleme als mit Fremdfirmen. Dazu kommt: In so einem Verbund bin ich auch für das Personal attraktiver. Denn dann kann man zeigen, was Medizin heutzutage in der IT alles kann.

Wo und wie rekrutieren Sie denn das erforderliche IT-Fachpersonal für die Klinik?

Fakt ist: Die Mitarbeiter sind durch die vorbereitenden Arbeiten zum Krankenhauszukunftsgesetz aktuell enorm gefordert. Um neue Mitarbeiter für  den Job zu begeistern, braucht es ebenfalls Kreativität, denn der Markt gibt nicht mehr her. Und man muss sich vor allem als attraktiver Arbeitgeber darstellen. Denn im Bereich Health Care machen wir ja wirklich Sinnstiftendes. Zudem ist man in der Medizin-IT in einem spannenden Umfeld, erlebt modernste Technologie, arbeitet in einem sich schnell wandelnden Sektor. Gleichzeitig sollten die Arbeitgeber sich aber auch engagieren, also Präsenz zeigen. Ich habe zum Beispiel einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Da bekomme ich immer wieder Anfragen von meinen Studenten für Bachelor- oder Masterarbeiten oder auch Anfragen für Jobs. Mit einer klassischen Zeitungsanzeige locken sie niemanden mehr. Dieser Wandel im Personalmarketing geht nicht von heute auf morgen. Ich habe inzwischen zahlreiche Mitarbeiter, die vorher bei mir Studenten waren. Das läuft schon seit 15 Jahren sehr erfolgreich. Man muss auch mehr Ausbildungsstellen ausrichten und die Lehrlinge nicht als günstige Arbeitskräfte sehen, sondern nach drei Jahren auch übernehmen.

Sie beteiligen sich seit kurzem sogar an einem Studiengang, was steckt dahinter?

Richtig, wir haben uns als Klinikum auch an einem Studiengang beteiligt, dem Computational Life Sciences an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Disziplinen wie die Medizin, die Diagnostik, die Pharmazeutik, die Humanbiologie, aber auch die Ernährungs-, die Agrar- und die Materialwissenschaften forschen und entwickeln in diese Richtung. In allen Disziplinen spielen die Digitalisierung und die Informatik eine immer größere Rolle: Sei es die Vernetzung und Automatisierung der Kernprozesse, die (Fern-)Erfassung, Visualisierung und Analyse medizinischer Daten, die Simulation humanbiologischer Vorgänge oder die Extraktion von Mustern und Erkenntnissen aus großen, unstrukturierten Datenmengen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei die Kombination des Grundverständnisses der humanbiologischen bzw. medizinischen Hintergründe und der fachlichen Prozessabläufe mit einer solide ausgebildeten Informatikkompetenz. Neben der Interdisziplinarität ist ein weiteres zentrales Element die Interaktion mit Menschen, um eine optimale Gebrauchstauglichkeit der Lösungen zu erzielen. Hier können wir ebenfalls Nachwuchskräfte für unsere Arbeit in der Klinik begeistern.

Ist es dennoch trotz aller Kreativität schwer für Sie, sich als Klinik im Wettbewerb mit der Industrie um IT-Experten und –nachwuchs durchzusetzen?

Da hat sich nichts geändert. Im Zweifelsfall gewinnt diesen Wettbewerb die Industrie. Die haben dann doch den einen oder anderen Euro mehr. Da können wir als öffentlicher Dienst natürlich schwer mithalten. Aber wie kann ich hier in Ingolstadt attraktiver sein als Audi? Da muss man den Bewerbern vermitteln, dass wir im Vergleich ein krisensicherer Betrieb sind ohne allzu große Konjunkturschwankungen. Und wir bieten Benefits neben dem Gehalt, vom Jobticket bis zur attraktiven Betriebsrente. Das verstehen inzwischen auch immer mehr Bewerber. Wer einen soliden, sicheren Arbeitsplatz sucht, der ist bei mir richtig. Wir nehmen auch gerne Bewerber über 40 Jahre, die oft aufgrund der Berufserfahrung gut einsetzbar sind.

Ist die Vergütungsstruktur ein Hindernis und wie lässt es sich überwinden?

Na ja, man darf auch nicht zu schnell dem Markt nachgeben und zu viel bezahlen. Wir müssen einfach attraktiv genug sein und uns fragen, was denn die jungen Leute wollen. Es geht auch um die Work-Life-Balance und das Drumherum, das geboten wird. Auch hier ist Kreativität gefragt, etwa bei möglichen Zusatzvereinbarungen. Die Personalabteilungen müssen auch die Zusatzprogramme zur Gewinnung neuer Mitarbeiter intelligenter nutzen. Das Gejammer über zu wenig finanziellen Spielraum ist mir zu einfach. Wichtig ist, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. In den Bewerbergesprächen lässt sich doch viel dazulernen. Bisweilen reicht schon eine Ladestation für das E-Bike, mit dem ein junger Mensch zur Arbeit kommt oder das Angebot, auch mal einen sechswöchigen Urlaub zu ermöglichen, den man sich ein Jahr lang erarbeiten kann – auch das ist ja für manch einen Work-Life-Balance. Der Obstkorb im Casino kann ebenso wertvoll sein wie die Bürogymnastik oder ein Kicker. Da müssen wir Kliniken auch von anderen Bereichen lernen, etwa von Google, wo Mitarbeiter zehn Prozent der Arbeitszeit für Verbesserungsvorschläge nutzen dürfen.

Fazit:
Es ist noch nichts verloren. Wir müssen mehr Gas geben und so intensiv und modern wie andere Industrien um Mitarbeiter werben, dann wird das auch was!

 

Über den Gesprächspartner

*Thomas Kleemann

Thomas Kleemann, Leiter der IT-Abteilung bei Klinikum Ingolstadt GmbH

 

Begleitender Beitrag zum Thema

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