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Dr. Tobias Fritz im Interview

„Wir sind erst am Anfang der digitalen Transformation“

Dr. Tobias Fritz vom „Bündnis Junge Ärzte“ im Interview über die Anforderungen junger Mediziner an Digitalisierung, Applikationen, KI und Datenschutz im Gesundheitswesen und konkrete Forderungen an Angela Merkel.

Autor:

Digitalisierung als Chance zur Verbesserung der Patientenversorgung

Wie stehen das „Bündnis Junge Ärzte“ der Digitalisierung gegenüber? Fluch oder Segen?

Das Bündnis Junge Ärzte steht der Digitalisierung sowie der künstlichen Intelligenz offen gegenüber. Wir sehen darin die Chance, sowohl die Patientenversorgung zu verbessern als auch die Ärzteschaft zu entlasten. Um dies zu gewährleisten, muss die Ärzteschaft aber eine führende Rolle in der Entwicklung und Implementierung von Applikationen einnehmen, um sowohl den zielgerichteten Einsatz als auch den Datenschutz der Patienten sicherzustellen. Aber nur, wenn auch der Erwerb von entsprechendem Fachwissen in der Ärzteschaft umfassender als derzeit gefördert wird, wird sich die Digitalisierung in der Praxis positiv auswirken. Allerdings muss dafür auch noch an anderen Stellschrauben gedreht werden.

Apropos – in einem offenen Brief, den Sie vor wenigen Tagen im April 2020 an die Bundeskanzlerin geschrieben haben, fordern sie deren vollen Einsatz für eine bundesweit einheitliche Digitalisierung, die die Menschen in den Gesundheitsfachberufen entlastet. Worauf genau sprechen Sie da an?

Ohne eine solche Entlastung werden wir die hohen Ausfallraten in vielen medizinischen, therapeutischen und p­flegerischen Berufen nicht reduzieren und ihre Attraktivität nicht steigern können. Für die eingesetzte IT in den Kliniken sollten bundesweit gleiche Standards gelten. Derzeit müssen sich Ärzte, die die Klinik wechseln, noch jedes Mal mit neuen Technologien auseinandersetzen. Vor allem die Bedienung der Software ist teilweise extrem unterschiedlich. Es ist extrem zeitaufwändig, dass alles neu zu lernen und sich neu zu erarbeiten.

Ein Kritikpunkt sind fehlende Standards

Man hört oft die Kritik, dass Standards fehlen…

… zurecht – es müssen Standards geschaffen werden, welche es ermöglichen, bereits vorhandene Datensätze eines Patienten in das jeweilige System zu übernehmen und somit auch den Austausch zwischen Kliniken und dem niedergelassenen Bereich zu verbessern. Dies bedeutet, es müssen Wege etabliert werden, die nicht nur einfach zu bedienen sind, sondern auch den Abruf von Daten wie Bilddatensätzen, Daten zu Voroperationen, Arztbriefen, Implantaten oder Medikationen ermöglichen, um eine möglichst Patienten-orientierte medizinische Versorgung zu verbessern. So ist es auch heute zum Beispiel üblich, dass oft Vordiagnosen durch den Patienten nicht bekannt sind und somit zu Komplikationen führen können. Auch sind Ärzte bis heute, trotz umfangreicher digitaler Möglichkeiten darauf angewiesen, dass Patienten den oft umfangreichen Medikationsplan (inklusive Dosierung) auswendig können oder einen Plan mit sich führen.

Zur Person: Dr. Tobias Fritz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Oberarzt am Universitätsklinikum des Saarlandes in der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, ist Sprecher des Perspektivforums Junge Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und vertritt diese im Bündnis Junge Ärzte, dem überwiegend junge Klinikärzte angehören.

Bündnis Junge Ärzte: Zusammenschluss der Vertreter der jungen Assistenzärzte/innen und Fachärzte/innen mit Ziel und Aufgabe, die Patientenversorgung nach modernen und ethischen Gesichtspunkten zu verbessern und Berufsbedingungen für eine Medizin der Zukunft zu gestalten.

Was würde die Situation für Ärzte und Patienten erleichtern?

Hier braucht es einheitliche bundesweite Regelungen, um gerade in einer Notfallsituation die bestmögliche Behandlung des Patienten gewährleisten zu können. Wenn digitale Inhalte vorhanden sind, müssen diese weiterhin auf Datenträgern von Arzt zu Arzt und Klinik zu Klinik durch die Patienten weitergegeben werden, wie zum Beispiel bei ambulant angefertigter Radiodiagnostik. Zum Teil kommen hier bereits cloudbasierte Lösungen zum Einsatz, sind aber bei weitem noch nicht flächendeckend verfügbar. Einzelne Datensätze können zum Teil in das eigene Kliniksystem geladen werden, um hier im Rahmen von Fallvorstellungen im klinischen Ablauf eingebunden zu werden. Hier besteht allerdings häufig ein Problem der Schnittstellen, sodass diese Lösungen nicht reibungslos funktionieren. Die Technologie steht also zur Verfügung, um die Daten für die Patienten anzulegen und überall verfügbar zu machen. Einheitliche Standards würden hier auf jeden Fall die Patientensicherheit und die Versorgungsqualität deutlich erhöhen.

Wir sind erst am Anfang der digitalen Transformation

Warum glauben Sie, dass die zahlreichen Vorteile der digitalen Transformation von Ärzten aktuell nicht ausgeschöpft werden können?

Wir sind erst am Anfang der digitalen Transformation. Diplomatisch ausgedrückt: Im deutschen Kliniksystem ist vieles technologisch schon gut gelöst, aber durchaus ausbaufähig. Ein großes Thema sind die verschiedenen Softwarelösungen für gleiche Probleme, die von den einzelnen Kliniken gekauft werden. Da besteht ein riesiger Nachholbedarf in Bezug auf eine einheitliche Oberfläche. Wir haben in unserer Klinik alleine drei verschiedene Systeme, mit denen wir arbeiten. Ich muss mich für jedes parallel einloggen. Inhalte von einem System sind nicht im anderen verfügbar und müssen teilweise von Hand übertragen werden. Solche Schnittstellen können dann unnötige Fehler verursachen, ganz abgesehen von dem Problem in der Bedienbarkeit. Ein Lösungsansatz wäre eine Verknüpfungssoftware mit einfacher Oberfläche, welche die einzelnen Systeme miteinander verbindet, die es dennoch anderen Bedienern (DRG, IT etc.) erlaubt, Bereiche der oft sehr komplexen und umfassenden Software zu benutzen. Gleichzeitig sollte mit der Softwarelösung stets der Fokus auf den Behandlungsablauf des Patienten gelegt werden.

Mangelhafte IT-Infrastruktur beeinträchtigt die klinische Qualität

Wie beurteilt das Bündnis Junge Ärzte grundsätzlich die IT-Ausstattung der Kliniken?

Unsere alltägliche Wahrnehmung ist, dass die vielzähligen Vorteile der digitalen Transformation von uns Ärzten nicht ausgeschöpft werden können: Unzureichende Hard- und Software mit veralteten IT-Systemen, Kupfer- statt Glasfaserkabel und die fehlende personelle Ausstattung von IT-Abteilungen sind nur einige Beispiele, die in vielen Krankenhäusern eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Mangelhafte IT-Infrastruktur beeinträchtigt die klinische Qualität zahlreicher deutscher Krankenhäuser. Aktuell ist das Verhalten der landes- und bundespolitisch Verantwortlichen – und nicht das der Ärzte – der Hemmschuh in puncto Digitalisierung.

Mit künstlicher Intelligenz (KI) zur besseren Patientenversorgung

Was würden Sie sich in Bezug auf eine modernere IT-Infrastruktur wünschen, um besser für die Patienten da sein zu können?

Vor allem, dass zukünftig Anwendungen und Applikationen unseren Arbeitsalltag erleichtern. Diese können die Ärzteschaft unter anderem unterstützen, die wachsenden Dokumentationsansprüche effizient zu bewältigen oder Routinearbeit sinnvoll zu stratifizieren. Es können dringliche Befunde und Entscheidungen priorisiert und eine verbesserte Versorgungsqualität erreicht werden. Die Integration künstlicher Intelligenz (KI) in den klinischen Alltag wird sicherlich in den nächsten Jahren ein relevantes Thema werden – die Auswertung von großen Datenmengen kann neue wissenschaftliche Erkenntnisse generieren und damit die Patientenversorgung verbessern. Auch bietet KI-unterstützte Diagnostik als Berater des behandelnden Arztes das Potenzial, die Patientenversorgung in Teilgebieten zu verbessern. Zum Beispiel sehr interessant ist die bereits weit fortgeschrittene unterstützende Diagnostik in der Radiologie und Pathologie, aber auch in neuen Anwendungen wie Frakturklassifizierungen. Wir sind offen für diesen Wandel – er soll und muss allerdings durch uns Ärzte mitgestaltet werden und daher fordern wir eine frühe Einbindung der Ärzteschaft und insbesondere der jungen Ärzte in die Entwicklung von digitalen Produkten sowie auch bei der Ausbildung.

Virtual Reality und Augmented Reality sollten in Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden

Wo sieht das Bündnis Junge Ärzte da praktikable Ansätze?

Es können schon Technologien wie Virtual Reality und Augmented Reality in der Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden, etwa in Bezug auf Simulationen operativer und minimal-invasiver Eingriffe. Das verbessert die Versorgung des Patienten, ohne ihn zu gefährden, erhöht die ärztlichen Fähigkeiten und senkt das Risiko für Komplikationen und fehlgeschlagene Eingriffe. Als gutes Beispiel dient hierzu die Luftfahrt. Auch Piloten müssen ja viele Stunden am Simulator trainieren, bevor sie ins echte Cockpit dürfen. Solche Lösungsansätze sind sicherlich für die künftige Generation von Ärzten in der Aus- und Weiterbildung ein relevantes Thema.

Leider gibt es bisher keine ausreichende Finanzierung zur Beschaffung solcher Simulatoren. Entweder die Klinik investiert oder eben nicht. Bislang sind solche Systeme erst in einzelnen Universitätskliniken, meist durch die Kooperation mit der Universität, verfügbar.

Zurück zu Ihrer Forderung an Angela Merkel. Wo erwarten Sie nun konkrete Unterstützung von der Kanzlerin?

Grundsätzlich in der besseren Finanzierung der Krankenhäuser. Und Covid-19 hat doch gezeigt, wie unbürokratisch man dies gestalten kann, wenn die gesellschaftliche Priorität der Medizin erkannt wird. Unsere Gesundheit ist unser höchstes Gut – diese Flexibilität und Geschwindigkeit würden wir uns auch für die Anschaffung von Hilfsmitteln in der digitalen Ausstattung der Kliniken wünschen. Wir reden seit Jahren über die Gesundheitskarte ohne sie bisher wirklich zu haben, mittlerweile ist diese Systemidee doch bereits durch den technologischen Fortschritt wie Cloudspeicherung abgelöst und sollte hier vielleicht fokussiert werden.

Patientendaten sollten für Patientenversorgung und Forschung unter Einhaltung höchstmöglicher Sicherheitsstandards nutzbar gemacht werden

Aber das Bündnis Junge Ärzte sorgt sich auch um den Datenschutz?

Natürlich ist gerade im Bereich Cloudnutzung der Staat gefragt. Es müssen Maßstäbe und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die diese in diesem hochsensiblen Bereich mit patientenbezogenen Daten regeln. Wichtige Fragen sind dann auch: Wer betreut die Serveranlagen? Sollen diese in Deutschland, Europa oder irgendwo auf der Welt stehen und wer hat möglicherweise dann noch Zugang dazu? Ist eine kommerzielle Lösung, die über einen oder mehrere Drittanbieter angeboten wird möglich oder muss dies durch eine staatliche Einrichtung übernommen werden? Die zentrale Frage letztendlich: Was passiert mit den Daten, die dann eventuell bei dem Dienstleistungsunternehmen gelagert sind? Facebook zeigt ja, wie leicht Daten missbraucht werden können. Die im klinischen Alltag erhobenen Daten sollten für die Patientenversorgung und für die Forschung im Einverständnis mit den Ethikkommissionen und den Patienten nutzbar gemacht werden. Ein gesetzlicher Rahmen für den Austausch unter Wahrung höchstmöglicher Datensicherheit muss hierzu zunächst geschaffen werden. Es muss insbesondere transparent bleiben, wann und wo von Patienten und Ärzten sensible Behandlungsdaten an Dritte weitergegeben werden. Wir fordern, dass nur Anwendungen und Applikationen Einzug in die Versorgung halten, die der Versorgungssicherung bzw. der Versorgungsqualität unserer Patienten dienen.

 

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