Dr. Dr. Peter Prodinger sieht viele Vorteile in der Digitalisierung
Wie ist Ihre persönliche Haltung gegenüber der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Prinzipiell sehe ich das sehr positiv. Für jeden, der im Gesundheitssystem und mit Menschen arbeitet, sind Informationen enorm wichtig in der Behandlung. Das beginnt schon beim Unfallpatienten, dem wir umso besser helfen können, je mehr wir über seine Krankengeschichte wissen – was leider nicht der Fall ist, wenn der Patient nicht ansprechbar ist. Auch ein umfassenderer Datenaustausch zwischen Kliniken untereinander sowie zwischen Hausärzten und Kliniken wäre sinnvoll, aber das funktioniert leider nur rudimentär. Natürlich ist das zum Teil auch ein Datenschutzthema, das ist mir klar. Die rechtlichen Hürden sind sehr rigide und verhindern noch manches, was die vorhandenen Systeme schon können.
Können Sie bitte ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie das Beispiel Radiologie: Wenn etwa ein Kollege von mir mal kurz eine Zweitmeinung einholen möchte, muss der Patient erst dafür unterschreiben, dass ich die Bilder anschauen darf. Das wäre schon mit einer elektronischen Signatur im Vorfeld leicht zu lösen. Mir fallen ständig solche Hürden auf, die uns das Arbeiten erschweren. Die Krankenvorgeschichte zu kennen, wäre für uns sehr, sehr hilfreich – etwa wenn es einfach eine Karte gäbe, die man in den PC steckt und man dann das gesamte Krankenbild vor Augen hätte. Stattdessen läuft vergleichsweise noch vieles analog. Das bedeutet für uns Ärzte: viel fragen, recherchieren und immer reichlich Zeitverlust, nicht zuletzt zum Negativen für die Patienten.
Ärzte sind die treibende Kraft der Digitalisierung
Wer treibt die Themen IT und Digitalisierung im Gesundheitswesen in Ihrer Klinik voran?
Wir haben eine eigene IT-Abteilung, die dafür Sorge trägt, dass unsere Systeme laufen. Die verstehen sich dafür als Dienstleister. Was die Einführung von digitalen Innovationen betrifft, ist die Ärzteschaft die treibende Kraft. Wir besprechen regelmäßig im Team, was unsere Arbeit erleichtern könnte. Wir gehen auf Kongresse und Fortbildungen und sehen ja, was möglich ist. Dann überlegen wir, was Sinn macht für unser praktisches Arbeiten. Natürlich ist die Finanzierung regelmäßig ein Problem, wie halt allgemein im deutschen Gesundheitssystem.
In welchen Bereichen können Sie selber die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben?
Ich diskutiere immer wieder mit der Klinikverwaltung über notwendige Systeme, wie zum Beispiel in Bezug auf einen interaktiveren Operationssaal, etwa durch Sprachsteuerung. Auch in Sachen Robotik gibt es noch sehr viel, was man einsetzen könnte, das aber aus Kostengründen bislang nur in geringem Umfang in die Standardversorgung integriert ist. Da habe ich durchaus Einfluss auf mögliche Investitionen. Aber die finanzielle Seite muss eben mitspielen, und da ist leider Vielem die Grenze gesetzt.
Gibt es Dinge, die Sie sich im zurückliegenden Jahr gewünscht haben und die auch installiert wurden?
Durchaus: Wir bekommen jetzt zum Beispiel das Datenbanksystem „Endodoc“ für unser Endoprothetikzentrum, das die Verläufe unserer Patienten, Scores etc. schneller in den Computer bringt, Register beschicken lässt und bessere Auswertungen ermöglicht. Das brauchen wir nicht zuletzt, weil wir uns für die Endoprothetik bei der deutschen Qualitätsinitiative EndoCert beworben haben. Denn wir wollen auch zeigen, dass wir uns wissenschaftlich mit dem befassen, was wir täglich im OP leisten. Wir sprechen gerade auch über einen OP-Roboter, der dabei hilft, im Laufe der OP die Prothesen exakter zu positionieren. Sobald Corona vorbei ist, steht das ganz oben auf der Themenliste, weil man sich damit auf jeden Fall in der Orthopädie im Sinne der Patienten auseinandersetzen muss. Weit vorne sind wir zudem mit einer eigenen Abteilung für Prozess- und Applikationsmanagement, welche die Klinikleitung seit zwei Jahren sukzessive aufgebaut hat.
Eine größere Anzahl digitaler Assistenzsysteme würde den klinischen Arbeitsalltag erleichtern
Wenn Sie sich von der Klinikverwaltung etwas in Punkto digitaler Ausstattung wünschen dürften, was wäre das?
Ganz klar: zum Beispiel eine größere Anzahl kommunizierender Systeme, die uns mehr Dateneinsicht genau dort geben, wo wir sie brauchen, von der Patientenaufnahme bis in den OP. Und insgesamt mehr digitale Assistenzsysteme, die uns den Arbeitsalltag erleichtern.
Wie weit gehören medizinische Apps, die das können, schon zum Standard in Ihrem Klinik-Alltag?
Vom medizinischen Wörterbuch bis zum Röntgenatlas nutzen die Kollegen bestimmt mehr als ein Dutzend medizinische Apps. Einer meiner persönlichen Favoriten und häufig eingesetzt ist beispielsweise die App der Pro-Implant-Foundation. Die beschäftigt sich mit Infektionen von künstlichen Gelenken und unterstützt ungemein gut dabei, die richtigen Therapiewege zu finden für Personen, die daran leiden.
Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen ist noch ein großer Flickenteppich
Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Tempo der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Man denkt schon immer wieder: „Könnte das jetzt nicht mal schneller gehen?“ Wir sind leider in Deutschland – nicht zuletzt politisch bedingt – schon ein wenig hinten dran. Und dann sitzt man wieder vor dem Bildschirm und wartet auf etwas, weil sich gerade mal wieder ein Programm aufgehängt hat und draußen drängen die Patienten. Wenn ich mir so die Gespräche mit meinen Kollegen in anderen Häusern ins Gedächtnis rufe, muss ich schon sagen: Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen ist noch ein großer Flickenteppich – mit einer weiten Spreizung von Mittelalter bis hochmodern. Mit dem Smart-Tablett auf Visite zu gehen, wie in Asien fast Standard, das wird vorerst noch ein Traum bleiben – ein gut funktionierendes WLAN wäre schon wunderbar.
Und wo sehen Sie Ihre Klinik?
Was den digitalen Reifegrad betrifft, hat sich unsere Klinik kürzlich extra prüfen lassen und in einem Benchmark mit anderen Häusern verglichen. Da stehen wir im deutschen Vergleich richtig gut da. Das heißt aber nicht, dass wir auch objektiv gut sind, denn trotzdem trägt Deutschland – im stetigen Wechsel mit der Schweiz – die rote Laterne bezüglich der Digitalisierung in den Krankenhäusern bzw. im Gesundheitswesen. Auf jeden Fall sind wir aber weit besser als in manchen Krankenhäusern, wo sie immer noch Zettelchen schreiben, etwa bei einer Konsilanforderung. Wir liegen da in Agatharied schon weiter vorne, haben aber trotzdem viel Luft nach oben.
Laut Dr. Dr. Peter Prodinger hat Corona die Digitalisierung im Gesundheitswesen beschleunigt
Bremsklotz oder Beschleuniger: Wie hat sich COVID-19 auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen ausgewirkt?
Corona hat tatsächlich vielleicht überraschend einiges vorangebracht, zum Beispiel weil wir nur dadurch Videokonferenzen etabliert haben. Die nutzen wir jetzt auch schon für nicht direkt medizinische Themen, wie zum Beispiel Prüfungsvorbereitungen. Insgesamt waren wir durch Corona gezwungen, Dinge anders zu machen, als zuvor. Das hat sicher einigen in der Klinik gezeigt, dass die Digitalisierung gar nicht so schlecht ist.
*Das Krankenhaus Agatharied ist die Landkreisklinik im oberbayerischen Miesbach. Das medizinische Leistungsspektrum umfasst 11 Fachabteilungen sowie drei ins Haus integrierte Praxen. Außerdem ist das Krankenhaus Agatharied Gesellschafter der Medizinischen-Versorgungszentren MVZÄrztlich geleitete Einrichtungen von mindestens zwei Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen … mehr erfahren Holzkirchen und Orthozentrum Miesbach sowie von dem OPAL Palliativ-Team. Das Krankenhaus Agatharied etabliert beständig neue medizinische Angebote, holt weitere Experten an die Klinik, organisiert Informationsabende zu verschiedenen Gesundheitsthemen und plant die Erweiterung des Hauses, wie aktuell den Bau einer Geriatrischen Rehabilitationsklinik.
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