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Gürcan Mustafa Özden, Leiter des Projekts Digitale Medizin in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V (bvmd)

„Eine digitale Ausbildung ist kein zentraler Aspekt in den Agenden der Fakultäten“

Gürcan Mustafa Özden*, Leiter des Projekts Digitale Medizin in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V (bvmd), über die Schwachstellen und Anforderungen bei der universitären Ausbildung angehender Ärzte und Ärztinnen in Bezug auf die digitale Transformation.

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Ihr Kollege Tobias Henke hatte vor etwa anderthalb Jahren die Forderung nach einer zügigen und konsequenten Umsetzung der im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) formulierten Lehrinhalte zur digitalen Transformation geäußert. Woran fehlt es auch heute in der digitalen Ausbildung deutscher Ärzte aus Sicht der bvmd?

Da fehlt es grundsätzlich nach wie vor an der Umsetzung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM). Eine digitale Ausbildung ist auch kein zentraler Aspekt in den Agenden der Fakultäten. Das wird sich hoffentlich bald ändern, wenn 2025 die neue ärztliche Approbationsordnung in Kraft tritt. Dann werden der NKLM und dessen Inhalte verpflichtend, also der NKLM 2.0 bzw. je nach Stand der Weiterentwicklung ggf. schon NKLM 3.0. Die digitalen Kompetenzen sind im aktuellen NKLM auch schon teilweise integriert, wie zum Beispiel das Thema Digitale Gesundheitsanwendungen, klinische Entscheidungs- und Unterstützungssysteme oder Informationsmanagement und Kommunikation. Allerdings wird aus unserer Sicht dem ganzen Thema noch nicht der nötige Stellenwert beigemessen. Bis zur Ausreifung bleibt es noch ein schwieriger Evaluierungsprozess. Wir hoffen sehr, dass bis 2025 die Digitale Medizin in der medizinischen Ausbildung tatsächlich angekommen ist und nicht noch länger auf sich warten lassen muss, weil die Approbationsordnung weiter nach hinten verschoben wird.

Was empfinden Sie diesbezüglich derzeit als besonders schwierig?

Digitale Ausbildung von MedizinernVieles ist unübersichtlich für uns Studierende und auch für die Fakultäten. Es gibt keinen koordinierten Überblick über die Entwicklungen in Bezug auf eine Aus- und Weiterbildung zur Digitalen Medizin an den einzelnen Universitäten. Jeder macht irgendwas – oder auch nicht – dieser Prozess müsste transparenter sein. Es müsste zudem an den Hochschulen intensiv darüber diskutiert werden, was in Zukunft gebraucht wird und welche Skills dazu vermittelt werden müssten. Eine entsprechende Ausbildung ist unabdingbar dafür, dass (angehende) Ärzte und Ärztinnen aktiv den technologischen Wandel in der Medizin mitgestalten und garantieren, dass dieser Wandel dem Patientenwohl dient. Diese Diskussion findet aber nicht in dem Maße statt, wie es erforderlich wäre. Leider besitzen auf ärztlicher Seite noch zu Wenige digitale Expertise, als dass das Thema auch von dieser Perspektive heraus anspruchsgerecht vermittelt werden könnte. Wir sind aktuell aus unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage, Daten oder digitale Technologien zum Patientenwohl gut zu nutzen, bspw. aus infrastrukturellen, personellen, datenschutzrechtlichen sowie finanziellen Gründen. Es müsste diskutiert werden, wie und wo man im Interesse des Patientenwohls Technologie integrieren könnte.

Welche Skills sind aus Ihrer Sicht unerlässlich, um die digitale Transformation in Kliniken voranzutreiben?

Um die digitale Transformation in Kliniken voranzutreiben, brauchen angehende Ärzte und Ärztinnen grundlegendes Wissen über das Thema „Digitale Medizin“, bspw. erst mal Kenntnis über Begrifflichkeiten wie bspw. Digital Health oder Telemedizin.

Im zweiten Schritt ein Grundverständnis über die eingesetzten Technologien, u.a. auch der Künstlichen Intelligenz, um entsprechende Risiko-Nutzen-Abwägung anstellen zu können, insbesondere auf bestimmte Ergebnisse von digitalen Technologien hin. Als wichtigsten Faktor sehe ich allerdings den Wandel in den Köpfen und damit der Haltung der Ärzte und Ärztinnen gegenüber Wandel und Innovation. Hiermit eng verwandt ist ein weiterer Knackpunkt: Im Studium wird nicht ausreichend interprofessionelles Arbeiten vermittelt, also die Zusammenarbeit mit übergreifenden Disziplinen. Diese erachte ich als unabdingbar für ein Gelingen dieser Transformation.  

Welche konkreten Verbesserungen empfehlen Sie? 

Wir würden uns wünschen, dass unsere Impulse aus studentischer Perspektive  von den Fakultäten mehr als bisher als relevant wahrgenommen würden und, dass die Lehre der Digitalen Medizin in einem gemeinsamen Dialog zwischen den Fakultäten entsteht. Ebenso würden wir uns wünschen, dass Möglichkeiten geschaffen werden, damit sich Promovierende, Lehrende und angehende ärztliche Wissenschaftler*innen in diesem Gebiet weiterbilden und die künftigen Fachkräfte in diesem Bereich ausbilden. Die LeKIM-Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Auftrag des KI-Campus, wo wir als Projekt mitwirken durften, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass beispielsweise KI-Kompetenzen in der medizinischen Aus-, Weiter- und Fortbildung nicht flächendeckend vermittelt werden. Die Angebote der medizinischen Fakultäten hierzu, aber auch insgesamt zur Digitalen Medizin, müssen stark erweitert werden.

Was sollten angehende Mediziner heute und künftig für die Arbeit in der Klinik bzw. einer niedergelassenen Praxis an digitalen Fähigkeiten mitbringen? 

Wichtig ist vor allem ein Grundverständnis, wie Digitalisierung als Werkzeug zur Verbesserung der Krankenversorgung dienen kann. Den Patienten und Patientinnen stehen heute immer mehr Information im Internet zur Verfügung.

Eine fachgerechte Einordnung dieser Informationen wird immer wichtiger seitens der Ärzte und Ärztinnen. Jeder sollte daher befähigt sein, mit der gewaltigen Menge an medizinischen Daten, die uns zur Verfügung stehen (werden), umzugehen und gewisse Technologien zu bewerten.

Wenn Patienten und Patientinnen mit einer medizinischen App in die Sprechstunde kommen und nach deren Bewertung fragen, muss die Ärztin oder der Arzt in der Lage sein, diese einigermaßen fundiert zu bewerten. Ebenso wie bei einem Medikament müssen Nutzen als auch Risiken und Nebenwirkungen erklärt werden. Auch die digitalen Entscheidungsunterstützungs-Systeme müssen der Arzt und die Ärztin beherrschen und den Patientinnen und Patienten erklären können, was die Verdachtsdiagnose einer KI ist, und warum er bzw. sie diese unterstützt oder anderer Meinung ist. Da ist viel Aufklärungsarbeit erforderlich. Das Curriculum geht darauf bis jetzt noch nicht ein. 

Wie wird sich die Rolle des Arztes in den nächsten Jahren wandeln? 

Im NKLM wurden die Rollen der Ärzte und Ärztinnen um die der Visionärin bzw. des Visionärs erweitert, die für die nächsten Jahre aus meiner Sicht eine große Rolle spielen wird. Es geht hierbei darum, dass Ärztinnen und Ärzte eine bedachte Haltung gegenüber gesamtgesellschaftlichen, technischen Entwicklungen und Innovationen einnehmen. Das ist wichtig, um künftige Herausforderungen bewältigen zu können, etwa einen Blick dafür zu haben, wie (digitale) Prozesse ablaufen und diese gegebenenfalls im Team mit anderen zu verbessern. Die großen Tech-Unternehmen investieren schon Milliarden in die Medizin. Amazon kaufte z.B. jüngst erst eine ganze Hausarztkette auf. Wir möchten ungern, dass der Wandel nur von den großen Firmen kommt, sondern würden diesen gerne im Sinne des Patientenwohls aktiv mitgestalten. Arzt und Ärztin sollen den Wandel demnach nicht nur hinnehmen, sondern ihn aktiv mitgestalten und einen Status quo hinterfragen und selbstständig mögliche Verbesserungen angehen. Zudem glauben wir, dass es durch die Technologien und anfallenden Daten, etwa durch Wearables, für die Ärzteschaft zunehmend neue, intensivere Möglichkeiten in der Betreuung von Patientinnen und Patienten geben wird.  

Welche Rolle kommt für diesen Weg den Hochschulen zu? 

Digitale Ausbildung von MedizinernDie Lehre der Digitalen Medizin stellt die Fakultäten vor ganz neue Herausforderungen. Es ist kein klassisches Fach, in dem man einen Facharzt machen kann, und Experten für Digitale Medizin aus dem ärztlichen Umfeld sind noch sehr rar. Grundsätzlich ist das meiste auch weniger als eigenes Fach zu verstehen, sondern mehr als ein „Update“ von bisher Existierendem. Neue Antworten auf alte Fragen: Wo früher Hausbesuche gemacht wurden, wäre jetzt häufig Telemedizin möglich. Ein Hautfleck kann vielleicht auch von einer App abgeklärt werden. Die Lehre eines solchen, noch sehr jungen Querschnittsbereichs ist einfach sehr schwer und es gibt wenig Referenzmaterialien. Es bestehen bereits einige Ansätze wie zum Beispiel Wahlpflichtveranstaltungen bezüglich digitaler Medizin, dies zeigen auch erste Übersichtsarbeiten. Es ist aber noch sehr wenig, was da aktuell passiert.

Unser Wunsch ist es, Inhalte nicht in einer Veranstaltung abzuhandeln, sondern fächerübergreifend das Wissen zur digitalen Medizin zu vermitteln. Die Hochschulen haben da die Verantwortung und die führende Rolle.

Nur so können wir alle Studierenden für die anstehenden Herausforderungen qualifizieren.  

Welche Hochschulen und /oder Lehrstühle sind aus Ihrer Sicht schon Leuchttürme in Bezug auf die digitale Ausbildung angehender Mediziner? 

Aktuell gibt es schon einige Universitäten mit interessanten und vielversprechenden Konzepten – in Heidelberg gibt es z.B. ein longitudinales Curriculum. In Mainz ein seit Jahren erfolgreiches Wahlmodul. In Marburg nun sogar eine Abteilung für Digitale Medizin. In Halle das „Projekt Format“, welches schon überzeugende praktische Prüfungen anbietet. Und in Witten-Herdecke den „Digital Health“ Track, ein Angebot an die Studierenden, den Umgang mit der Digitalisierung zu erlernen. Insgesamt können wir also nicht den „einen Leuchtturm“ sehen, vielmehr versuchen die Hochschulen im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterschiedliche Ansätze. Wir begrüßen jedes Engagement in dem Bereich, würden allerdings fakultätsübergreifende Zusammenarbeit im Sinne einer koordinierten Entwicklung begrüßen. 

 

*Gürcan Mustafa Özden Özden studiert Humanmedizin in Frankfurt und befindet sich aktuell im letzten klinischen Semester vor dem zweiten Staatsexamen bzw. vor dem Praktischen Jahr   

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