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Leuchtturm an einer felsigen Küste zum Meer bei gutem Wetter und ruhiger See

QT-Life: Schleswig-Holsteins neuer Leuchtturm steht in der Apotheke

Im April startet im nördlichsten Bundesland das Förderprojekt „QT-Life“. Die QT-Dauer oder QT-Zeit ist eine Messgröße bei der Auswertung des Elektrokardiogramms (EKG). In einer völlig neuen Art der Zusammenarbeit wollen Apotheken, Kardiologen und die DAK die Arzneimittel-Therapiesicherheit (AMTS) im Bereich der Herzgesundheit verbessern – über einen digitalen Herzmonitor und eine Cloud-Plattform.

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Wenn Patienten mit Herz-Rhythmus Störungen ab dem 6. April dieses Jahres eine Apotheke in Schleswig-Holstein besuchen, kann es gut sein, dass sie der Apotheker mit einer neuen Dienstleistung überrascht – vorausgesetzt, sie sind bei der DAK versichert. Für eine Studie werden in den teilnehmenden Apotheken im nördlichsten Bundesland DAK-Versicherte angesprochen, die Medikamente erhalten, bei denen ein Anhaltspunkt auf eine ungünstige Herzwirkung bekannt ist. Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch können die Versicherten sich dann direkt in der Apotheke einen digitalen Herzmonitor anlegen lassen, der für 24 Stunden ein EKG aufzeichnet und alle eventuellen QT-Zeit-Veränderungen dokumentiert. Neu ist, dass die Messung erstmals direkt in einer Apotheke startet, und das Ergebnis dann digital an ein kardiologisches Zentrum zur Befundung übermittelt wird. Die ärztliche Leitstelle der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein informiert die teilnehmenden DAK-Versicherten im Anschluss über das Ergebnis.

Das Projekt mit dem Namen „QT-Life“ wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert und läuft in den teilnehmenden Apotheken ein Jahr lang bis zum 31.03.2022. Projektpartner sind der Apothekerverband Schleswig-Holstein e.V., die Ärztegenossenschaft Nord e.G., drei kardiologische Zentren, die DAK-Gesundheit, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und die SmartStep Data Institute GmbH. Die Verarbeitung personenbezogener Daten unterliegt dabei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), im Einzelfall ergänzt durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und Landesdatenschutzgesetze.

Deutliche Überlegenheit gegenüber „Wearables“

„Bei der Messung wird nicht nur modernste deutsche Technologie eingesetzt“, sagt Nikolaus Schumacher, der mit seiner Plattform Nambaya die Studie als Technologiepartner unterstützt. Die Plattform wird bei SysEleven gehostet, die vom Start weg Mitglied der Europäischen Cloud-Initiative GAIA-X vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist. „Sondern wir sind auch den ‚Wearables’ wie etwa Fitnesstrackern und Smartwatches weit überlegen, die ja inzwischen viele Menschen nutzen, um Gesundheitswerte zu messen. Erstens gehen die Daten bei QT-Life nicht an irgendwelche amerikanischen oder asiatischen Firmen. Und zweitens misst ein Wearable nur eine Welle mit einer Genauigkeit von 60 und 100 Hertz. Wir messen dagegen die Reizleistung und Spitzen des EKGs sowie die Zeiten dazwischen, etwa wie lange die Reizleitung in den Vorhöfen ankommt. Das ist Hardcore-Medizin.“

Hintergrund des ambitionierten Projekts: Bei zahlreichen Medikamenten wird der natürliche Herz-Rhythmus unerwünscht beeinflusst. „Insbesondere bei Behandlungen mit Antiarrhythmika können Versicherte durch unerwünschte Wirkungen gefährdet sein“, sagt Laura Polatzek, Communications Manager beim SmartStep Data Institute, dem Konsortialführer des Projektes. „Aber auch zahlreiche Antidepressiva, Antibiotika oder Medikamente in der Krebstherapie können sich in negativer Weise auf den Herz-Rhythmus auswirken.“ So können bei Einnahme eines QT-Zeit-verlängernden Medikaments oder in Kombination mehrerer begünstigender Medikamente potenziell lebensbedrohliche (ventrikuläre) Herzrhythmusstörungen vom Typ der Torsade-de-Pointes-Tachykardie auftreten. Tachykardien sind im EKG als Verlängerung der QT-Zeit zu erkennen. Eine QT-Zeit-Verlängerung bezeichnet im Fachjargon die Verlängerung des QT-Intervalls. Das QT-Intervall bezieht sich auf die Zeit in Millisekunden, die im EKG zwischen dem Beginn des QRS-Komplexes und dem Ende der T-Welle verstreicht. In diesem Abschnitt werden die Herzkammern de- und repolarisiert. Bei dem Vorgang zieht sich der Herzmuskel erst zusammen und entspannt sich anschließend wieder. Eine QT-Zeit-Verlängerung liegt dann vor, wenn eine Zeit von 500ms pro QT-Intervall überschritten wird. Der Name des Projekts „QT-Life“ ist von dieser Definition des EKG-Herzrhythmus abgeleitet, in dem das QT-Intervall ein fester Bestandteil ist.

Betroffen sein können von solch einer Herzrhythmus-Störung sowohl herzgesunde Menschen als auch Versicherte mit strukturellen Herzerkrankungen.

Und die Zielgruppe ist vergleichsweise groß: In Deutschland sind rund acht Prozent aller Versicherten von kardialen Arzneimittelnebenwirkungen betroffen, die durch die Einnahme der oben genannten Medikamentengruppen verursacht werden. In einigen Fällen verlaufen die Nebenwirkungen für den Versicherten ohne klinische Symptome und bleiben zunächst unerkannt, weshalb nicht direkt ein Arzt konsultiert wird. In anderen Fällen können die charakteristischen Symptome einer Torsade-de-Pointes-Tachykardie wie Krampfanfälle, Schwindel und Synkopen (Bewusstseinsverlust) auftreten. Torsade-de-Pointes-Tachykardien können in ein Kammerflimmern übergehen und in seltenen Fällen zum plötzlichen Herztod führen.

Verbesserte Früherkennung von arzneimittelbedingten Nebenwirkungen

Diese potenziell gefährlichen kardialen Nebenwirkungen möchten die Apotheker und Ärzte in Schleswig-Holstein bei DAK-Versicherten besser erkennen.

Eine erste Ergebniseinschätzung erhält der Versicherte nach Rückgabe des Gerätes umgehend vom Apotheker. Diese basiert auf einer Software, die erste Einschätzungen per „Ampel-System“ übermittelt. „Wird eine Problematik in der QT-Zeit vom Apotheker durch Auslesen des Herzmonitors erkannt, sendet er die Daten über die Cloud an eine von drei kardiologischen Praxen, deren Arzt dann eine Empfehlung für die weitere Therapie gibt“, erklärt Nikolaus Schumacher den Ablauf. „Die Früherkennung von arzneimittelbedingten Nebenwirkungen und die Versorgung arzneimittelinduzierter kardiotoxischer Ereignisse sollen verbessert und künftig bereits in der Apotheke begonnen werden. Die Apotheker rücken damit auch weg von ihrer heute überwiegenden Rolle als Händler hin zur ursprünglichen heilberuflichen Aufgabe. Und die teilnehmenden Krankenkassen erhoffen sich geringere Kosten, da Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten gesenkt werden können.“

Dr. Peter Froese, Chef des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein e.V., ist es eine „Herzensangelegenheit“, dass das System der Früherkennung von Beginn an dort unterstützt, wo die Medikamente dem Versicherten ausgehändigt und erklärt werden: „Das Projekt QT-Life ist eine riesige Chance zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Unser Ziel bei QT-Life ist es, den DAK-Versicherten durch gezielte Beratung, Betreuung und Versorgung aufzuzeigen, welche zusätzlichen Chancen sich durch den Einsatz digitaler Gesundheitslösungen für den Versicherten in den Apotheken vor Ort ergeben“, sagt er.

Das Leuchtturm-Projekt sieht vor, bis zu 3.000 volljährige Versicherte der DAK-Gesundheit in die Studie einzuschließen, die in einer Apotheke in Schleswig-Holstein ein Medikament beziehen, das wie beschrieben einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Arzneimitteln eine QT-Zeit-Verlängerung auslösen kann. Sollte der DAK-Versicherte die Teilnahmekriterien erfüllen, wird ihm vom Apotheker die kostenfreie Teilnahme am Projekt angeboten. Nach der Einwilligung in die notwendigen Formalia (Teilnahmeerklärung, Anamnese, Datenschutzerklärung) wird dem Versicherten ein hochmodernes kleines mobiles EKG-Gerät angelegt, welches über 24 Stunden die Herzfunktion aufzeichnet. Jeder teilnehmenden Apotheke werden diese Langzeit-EKG-Geräte vorab zur Verfügung gestellt.

Schon jetzt sind alle Beteiligten gespannt auf die Ergebnisse der Evaluation. Diese erfolgt durch das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das Team unter der Leitung von Professor Matthias Augustin analysiert Daten aus verschiedenen Quellen, um die Wirksamkeit der verbesserten Kommunikation zwischen den Leistungserbringern festzuhalten. Ziel der Evaluation ist eine vergleichende Betrachtung der neuen Versorgung in Schleswig-Holstein mit anderen Regionen, die aktuell keinen Zugang zu dieser neuen Art der Messung des Herzrhythmus haben. „Wünschenswert wäre, wenn künftig noch mehr vergleichbare Projekte an den Start gehen“, so Nikolaus Schumacher. „Die multifunktionale Technologie ermöglicht auf jeden Fall den Anschluss weiterer digitaler Medizinprodukte.“

 

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