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PKV - Auf dem Weg zum Smart Insurer

PKV: Auf dem Weg zum Smart Insurer

Den Start hatten sie verschlafen, doch inzwischen sind die Privaten Krankenversicherer (PKV) losgespurtet: Von Gesundheitsservices bis zu Prozessoptimierungen – die Transformation zum digitalen Gesundheitsdienstleister nimmt Fahrt auf. Trotzdem sind noch einige Hürden zu nehmen.

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Das Beispiel war durchaus anschaulich: Wie PKV-Versicherte zukünftig per Smartphone Arzneimittelverordnungen über die E-Rezept-APP einlösen können, wurde den Besuchern der Leitmesse „DMEA – Connecting Digital Health“ Ende April 2023 an den Ständen der gematik sowie bei ehex – eHealth Experts GmbH, Rise und MSG demonstriert.  Auch, wie in einem weiteren Schritt die Rechnung zur Kostenerstattung beim Krankenversicherungsunternehmen eingereicht werden kann, war Teil der Vorstellung. Das Smartphone der Versicherten soll das zentrale Informations-, Kommunikations- und Steuerungsinstrument beim Versicherer ihrer Wahl werden.

Dazu hat der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) kürzlich Verträge mit der „IBM Deutschland GmbH“ und der Firma „Research Industrial Systems Engineering (RISE) Forschungs-, Entwicklungs- und Großprojektberatung GmbH“ abgeschlossen. Mit deren Hilfe wird es den Kunden der PKV zukünftig möglich sein, sich mit dem Smartphone beim Arzt online einzuchecken und auch digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept einfach über das Smartphone zu nutzen.

Die Aufholjagd hat begonnen

Auch wenn sie das Thema Digitalisierung lange halbherzig angegangen sind – inzwischen sind die Privaten Krankenversicherer mitten in der Aufholjagd.

„Insgesamt sind die großen wie die kleineren Versicherer auf einer ähnlichen Reise, nämlich auf dem Weg der Transformation in Richtung Gesundheitsdienstleister.

Andrea Karaman
Andrea Karaman

Allerdings ist durchweg noch viel Handlungsbedarf vorhanden. Nicht zuletzt, weil das Thema Fachkräftemangel auf der Agenda steht. Zudem planen die meisten Krankenversicherer (79%) aktuell ‚Predictive Analytics‘ einzusetzen, um auf Basis von Leistungsdaten ihre Services zu verbessern. Erst 21 Prozent haben bereits erste Maßnahmen umgesetzt. Gleichzeitig sind die Kunden immer digitaler unterwegs und erwarten das auch von Ihren Dienstleistern. Damit kann nicht jede Versicherung auf Anhieb Schritt halten“, sagt Andrea Karaman, Senior Manager Insurance Operations bei der Unternehmensberatung Deloitte und Mitautorin der Studie „PKV der Zukunft – Neue Chancen, neue Herausforderungen“.

„Im Zentrum der Strategien steht die Positionierung als Gesundheitsdienstleister und lebenslangen Gesundheitspartner.

Das umfasst einerseits nach außen die Digitalisierung zum Kunden, vor allem mit dem Ausbau der Kundenschnittstellen und Kommunikationskanäle – was manche unter dem Schlagwort ‚Smart Insurer‘ zusammenfassen. Wichtig ist den Kassen dabei, möglichst unkompliziert, digital, schnell und ohne Medienbrüche zu agieren und noch mehr Gesundheitsservices anzubieten. Andererseits umfasst das nach innen Aufgaben wie Systemerneuerung und Prozessoptimierung zum Beispiel in der Leistungsbearbeitung.“

Laut einer weiteren Untersuchung, der Accenture Studie „Digital Health: Kundenerwartungen und Handlungsimpulse für die PKV“, stellen digitale Services im tendenziell kompetitiven PKV-Marktumfeld entscheidende Differenzierungsmerkmale für Versicherer dar. „Diese sind aber für viele Kunden nicht transparent“, heißt es dort: „Nur 57 Prozent der Kunden kennen das digitale Angebot ihrer Krankenversicherung.“ Auch wenn bei jungen Kunden digitale Angebote bei der Wahl der geeigneten Krankenversicherung heute eine bedeutende Rolle spielen, besteht laut der Studie Verbesserungsbedarf in der Kommunikation. Fazit der Studie: „Digitale Gesundheitsservices bei Krankenversicherungen werden der neue Standard. Investitionen in digitale Services sind eine Notwendigkeit. Das aktuelle digitale Leistungsangebot von privaten Krankenversicherern wird in Zukunft nicht ausreichen, um gegen Wettbewerber standzuhalten.“ Mit anderen Worten: die PKVen haben noch einige Hürden zu nehmen.

Da ist es für die Außenwirkung nicht eben förderlich, dass eines der prestigeträchtigsten Digitalisierungsprojekte der privaten Krankenversicherer Ende Juni wohl ein jähes Ende nimmt. Drei der vier Versicherer des ePortals „Meine Gesundheit“ werden die Plattform Mitte 2023 verlassen: Der größte private Krankenversicherer Debeka, die HUK-Coburg und die Versicherungskammer Bayern mit ihren beiden Krankenversicherern Union und Bayerische Beamtenkrankenkasse. Damit bleiben nur der Versicherer Axa und der Arztsoftware-Hersteller Compugroup übrig, die das Portal 2016 als Pioniere auf den Weg gebracht hatten. Über das Rechnungsmanagement hinaus bietet „Meine Gesundheit“ eine Suchfunktion zur passenden Arztwahl und ein elektronisches Adressbuch mit den Kontaktdaten von Ärzten und Gesundheits-Dienstleistern. Auch eine Online-Terminvereinbarung und -verwaltung ist möglich. Im Nachrichtenbereich informiert „Meine Gesundheit“ den Versicherungsnehmer individuell zugeschnitten über medizinische und versicherungsrelevante Themen.

Digitale Identitäten im Fokus

Doch trotz solcher Rückschläge nimmt die Digitalisierung Fahrt auf: Bereits vor der Pandemie hatte die PKV digitale Gesundheitsleistungen wie Telemedizin und Gesundheits-Apps erstattet. Derzeit bereiten sich viele private Krankenversicherer auf eine Ausgabe der elektronischen Patientenakte an ihre Versicherten im Herbst 2023 vor. Und ein weiteres aktuelles Thema treiben die privaten Krankenversicherer voran:

Die Privatversicherten sollen ab Mitte 2023 „digitale Identitäten“ erhalten können, die ihnen einen ebenso einfachen wie sicheren Zugang zu digitalen Services rund um ihre Gesundheit bieten.

Die Bedeutung der digitalen Identitäten für den Erfolg der digitalen Transformation des Gesundheitssystems betonte Christian Hälker, Geschäftsführer IT beim PKV-Verband, bei einer Paneldiskussion des Bundesverbands Gesundheits-IT (bvitg). „Deutschland ist ein Schlusslicht bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen in Europa. Die digitalen Identitäten bieten uns die Chance, hier aufzuholen und die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Sie sind der Schlüssel für den einfachen, nutzerfreundlichen und sicheren Zugang zu digitalen Services rund um ihre Gesundheit“, erklärte Hälker. Ab Mitte 2023 werden Privatversicherte digitale Identitäten erhalten können, die ihnen einen ebenso einfachen wie sicheren Zugang zu digitalen Services rund um ihre Gesundheit bieten. Dazu hat der PKV-Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) Verträge mit der „IBM Deutschland GmbH“ und der Firma „Research Industrial Systems Engineering (RISE) Forschungs-, Entwicklungs- und Großprojektberatung GmbH“ abgeschlossen.

Zahlreiche Vorteile durch zentrale Touchpoints

Die HanseMerkur setzt bei ihren Self-Services konsequent auf einen personalisierten Weg. Ein Versicherter bekommt dabei alle Services angeboten, die für seinen Versicherungsschutz relevant sind. Dieses Services sind mit sämtlichen dort bekannten Daten vorbefüllt, um es dem Kunden so leicht wie möglich zu machen, sein Anliegen abschließend zu erledigen.

Ein weiterer Punkt ist der OneApp-Ansatz, sodass neben den PKV-Inhalten auch Services für die anderen Sparten über denselben Touch-Point angeboten werden. Mehr als 20 digitale Prozesse, von der Einreichung von Unterlagen via Upload oder Fotofunktion, den Empfang von Arztrechnungen in der Postbox der HanseMerkur (eRiC) bis zu diversen Gesundheitsservices und Gesundheitsprogrammen für unterschiedliche Erkrankungen (Rückenerkrankungen, Blutdruckerkrankungen, Diabetes, etc.).

„Die größten Mehrwerte für die Kunden sind in dieser Hinsicht insbesondere die Prozessbeschleunigung, die mobile Nutzung und die klare Transparenz.

Die HanseMerkur profitiert parallel von einer Zeit- und Kostenersparnis. Zusätzlich sind wir offen für weitere digitale Services wie Chatbot und Voice-Funktionen“, sagt Dirk Becker, Pressereferent Unternehmenskommunikation der HanseMerkur Krankenversicherung AG.

Annamaria Kolodzej
Annamaria Kolodzej

Bei der Gothaer ist der wichtigste Touchpoint zu den Versicherungsnehmern, die Gothaer Gesundheitsapp, die inhouse entwickelt wird. Mit im Schnitt 4,7 Sternen zählt sie zu den Top PKV-Apps im deutschen Markt. „In unserer App können unsere Versicherten neben dem Kernfeature ‚Rechnungseinreichung‘ auf unsere vielfältigen digitalen Services zugreifen, wie den Symptom-Checker, die Arzt- und Krankenhaussuche sowie telemedizinische Angebote. Darüber hinaus bietet sie medizinische Informationen zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen sowie Tipps und Tricks für mehr Gesundheit im Alltag in unterschiedlichen Formaten. Noch in diesem Jahr folgt die elektronische Patientenakte (ePA)“, sagt Annamaria Kolodzej, Leiterin Analytics, Digitalisierung und & Innovation bei der Gothaer.

„Durch die Automatisierung und Dunkelverarbeitung von standardisierten Vertrags- und Leistungsvorgängen bleibt mehr Zeit für die individuelle Beratung. Zudem erhalten Kunden auch ihr Geld schneller zurück.“

In der Zukunft wird die Gothaer den Bereich Prävention kontinuierlich aufbauen. Vor allem die Felder mentale Gesundheit, Ernährung und Bewegung aber auch gesundes Arbeiten spielen dabei eine große Rolle.

Von Amazonisierung bis Telemonitoring

Katrin Berger
Katrin Berger

Über die Apps zur Rechnungseinreichung gibt die DeBeKa digital auch Antworten auf persönliche Fragen und unterbreitet gezielt Angebote wie ein Telemonitoring, aber auch Anwendungen zur Stressreduktion oder Rauchentwöhnung. „Die Themen sind bei den Kunden und Ärzten aber leider noch nicht so angekommen, wie ich mir das wünschen würde“, sagt Katrin Berger, bei der Debeka verantwortlich für das Thema Gesundheitsmanagement und Digitalisierung.

 „Wir arbeiten hier auch mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Die sind aber auch noch relativ teuer.“

Erste Modellprojekte gibt es im Bereich Predictive Analytics

, etwa bei Lebererkrankungen wie Hepatitis C. „Aber da hat uns dann der Datenschutz verboten, die Daten weiter zu verwenden. Das ist mir als Gesundheitsmanager sehr schwergefallen, das zu akzeptieren.“

Bei der Barmenia stehen dem Versicherten in der „Meine Barmenia App“ neben der Grundfunktion von Rechnungseinreichungen und dem Einblick in die Vertragsinformationen ein kompletter Überblick über den Status seiner Einreichungen zur Verfügung.

Zu jedem eingereichten Dokument erkennt er die Informationen aus dem Beleg wie Leistungserbringer, Behandlungsdatum und Rechnungsbetrag sowie nach erfolgreicher Bearbeitung die komplette Leistungsabrechnung.

„Über den Bereich ‚Meine Gesundheit‘ bieten wir zudem ein breites Spektrum an Gesundheitsanwendungen. Der Kunde hat in der App die Möglichkeit, die Zustimmung für individuelle Gesundheitsprogramme zu aktivieren.

Christa Scholl
Christa Scholl

Bei dieser Möglichkeit schlagen wir anhand von den vorhandenen Einreichungen in unserem Leistungssystem passende Gesundheitsprogramme vor“, sagt Marina Weise-Bonczek, Pressesprecherin der Barmenia. Kurzum: Der Kunde kann selbstständig die wichtigsten Prozesse verwalten und hat stets einen transparenten Überblick über seine Verträge, seine Einreichungen und die Gesundheitspartnerschaften der Barmenia sowie passende Programme. Zudem ist ein Absprung zu den Partnern aus der App direkt möglich. Am weitesten fortgeschritten ist das Thema Digitalisierung bei der 2015 gegründeten ottonova. „Wir sind direkt digital gestartet und mussten keinen Transformationsprozess aufsetzen“, sagt Christa Scholl, Leiterin Kommunikation bei ottonova.

„Bei uns gab es noch nie Papier. Alles, was der Versicherte braucht, findet in der App statt.

Darüber lässt sich alles steuern. Wir übersetzen vieles von dem, was man zum Beispiel von Amazon kennt, in den etwas komplizierteren Gesundheitsbereich. Die ‚digital natives‘ finden das natürlich toll.“ So zeigt die App eine Liste an alters- und geschlechtsspezifischen Empfehlungen für Vorsorgeuntersuchungen an und ermöglicht das Eintragen bereits getätigter Vorsorgeuntersuchungen. Labels zeigen den Bearbeitungsstatus bei eingereichten Rechnungen, sorgen für Transparenz und reduzieren Anfragen an den Kunden-Support. Gleichzeitig ist das Durchreichen von Überweisungsdaten an unterstützte Banking Apps möglich, was dem Nutzer das manuelle Abtippen von Überweisungsdaten wie Empfänger und IBAN erspart.

Highlight ist zudem ein Concierge-Service mit persönlichem Ansprechpartner für jeden Versicherten. „Als PKV-Start-up hat ottonova einen sehr jungen Bestand, muss keine alten IT-Dampfer umrüsten und ist bei der Technologie immer auf dem neuesten Stand“, so Christa Scholl. „Wir versuchen zu verstehen, wo den Kunden der Schuh drückt und entwickeln mit denen gemeinsam bestimmte Features. Eigentlich alle, die wir haben, kamen so auf die Welt.“ Mit Blick auf die Zukunft treibt die ottonova das Thema Vorsorge und individualisiertes Gesundheitsmanagement um. Christa Scholl: „Im Bereich Predictive Analytics möchten wir noch sinnvoller mit Daten umgehen und den Kunden beraten in Bezug auf Behandlungsmöglichkeiten, etwa wenn aus Abrechnungen eine bestimmte Diagnose erkennbar ist. Das ist für die gesamte Branche noch neu und aus Datenschutzgründen teilweise auch kompliziert. Aber da geht die Reise hin.“

Automatisierung auf dem Vormarsch

Zahlreiche Auswertungen belegen intern die Fortschritte bei der Digitalisierung: So ist die Rechnungs-App mittlerweile der stärkste Eingangskanal mit Zweidrittel vom Gesamteingangsvolumen bei der HanseMerkur. Die digitalen Rücksendungen der Leistungsabrechnungen erreichten im Jahr 2022 einen Wert von 700.000 Stück. Mehr als 70 Prozent der Leistungsabrechnungen werden mittlerweile voll- oder teilautomatisiert erledigt.  Bei der Barmenia erfolgen in der Krankenversicherung mehr als 60 Prozent der Einreichungen über die App und damit auch alle Leistungsabrechnungen über die digitale Postbox an die Kunden.

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