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Mann mit vielen Fragezeichen

Schneise durch den Dschungel

Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich mitten in der digitalen Transformation. Damit dieser Prozess erfolgreich verläuft, müssen die Bürger digitale Informationen und Angebote auch richtig nutzen können. Der Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch die hat sich zuletzt kaum verbessert. Jetzt mussten die Kassen ihre Planungen an den Spitzenverband GKV melden, der darüber dem Bundesministerium für Gesundheit berichten muss.

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Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz vom Dezember 2019 hatte die damalige Bundesregierung nicht nur die stärkere Digitalisierung des Gesundheitswesens beschlossen, sondern auch die aktive Befähigung aller Versicherten, daran teilzuhaben. Zwei Jahre später hat sich in diesem Punkt noch nicht viel getan.

Dabei gleicht das Angebot digital verfügbarer Gesundheitsinformationen einem Dschungel. Allein die im Netz zu findenden Informationen sind in ihrer Menge kaum zu überblicken. So findet ein Nutzer bei Google unter dem Suchbegriff Gesundheit gut 400 Millionen Treffer. Gleichzeitig sind digitale Helfer wie Smartphone, Laptop oder Apps kaum noch wegzudenken. Eine Entwicklung, die die Corona-Pandemie zuletzt noch beschleunigt hat. Die Anforderungen an die Nutzer, mit digitalen Onlinediensten und ganz allgemein mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien umzugehen, sind höher denn je. Und mit der digitalen Transformation des Gesundheitswesens werden diese Anforderungen und deren Komplexität weiter zunehmen. Innovationen wie die elektronische Patientenakte (ePA), das E-Rezept oder auch sind mehr oder weniger erklärungsbedürftig.

„Erschreckende Wissenslücken“

Derweil verfügen die Menschen in Deutschland nur über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz: Bereits 2014 hatten der AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) untersucht, wie schwer oder leicht es Menschen fällt, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und im Alltag anzuwenden. Das Ergebnis: Etwa 59 Prozent der Befragten wiesen eine problematische oder unzureichende Gesundheitskompetenz auf. Eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2016 bestätigte diese Zahlen. Die im Dezember 2020 von der AOK veröffentlichte Umfrage „Digitale Gesundheitskompetenz in Deutschland“ ergab, dass immer noch mehr als die Hälfte der Befragten (52,4 Prozent) über eine eingeschränkte digitale Gesundheitskompetenz verfügt. Eines der Kernergebnisse der AOK-Umfrage:

Das eigentliche Suchen nach Informationen sowie die Bewertung, wie verlässlich und relevant die gefundenen Gesundheitsinformationen sind, fällt den Befragten am schwersten. Als Headline formuliert, konstatiert die AOK sogar „erschreckende Wissenslücken“.

So bieten seit dem 1. Januar 2021 alle gesetzlichen Krankenversicherungen eine elektronische Patientenakte (ePA) in Form einer App an. Die erwarteten Nutzerzahlen – höhere einstellige Millionenzahl im ersten Jahr – werden wohl nicht erreicht. Im Oktober 2021 waren es laut verfügbaren Zahlen noch unter 300.000 angelegte Akten, also noch nicht einmal 0,5 Prozent der Versicherten.

Einer der möglichen Gründe: Die digitale Gesundheitskompetenz sei sogar immer noch bei drei von vier Menschen eingeschränkt, vermutet Digitalexperte Marcel Weigand, Leiter des Bereichs Kooperationen und digitale Transformation bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland gGmbH und konstatiert: „Der im Jahr 2019 geschaffene § 20k SGB V hat daran bislang kaum etwas geändert.“

„Zielgruppengerechtigkeit aufmerksam verfolgen“

Gemäß § 20k Abs. 2 SGB V hatte der GKV-Spitzenverband am 24. November 2020 erstmalig Regelungen zu Leistungen zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz getroffen. Auf dieser Basis können die Krankenkassen ihre Satzungen gemäß § 20k Abs. 1 SGB V und auf der Grundlage der Regelungen des GKV-Spitzenverbandes prüfen und gegebenenfalls anpassen, um Leistungen zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz für die Versicherten und Patienten anbieten zu können.

Der Gesetzgeber hatte die Krankenkassen dann im vergangenen Jahr verpflichtet, ihre Leistungen zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz bis zum 15. Oktober 2021 an den Spitzenverband GKV zu melden. „Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen hat die Aufgabe, Näheres zu regeln und dem Bundesministerium für Gesundheit erstmals zum 31. Dezember 2021 Bericht zu erstatten“, so Doris Berve-Schucht vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Was die Kassen im Einzelnen planen, mit welchen Maßnahmen sie eine Schneise in den digitalen Informationsdschungel schlagen wollen und ob es Sanktionen gibt, wenn das nicht erfolgt, darauf bleibt das BMG die Antwort schuldig. „Nach Kenntnis des Bundesministeriums für Gesundheit verfolgen die Krankenkassen verschiedene Ansätze, die derzeit von den Aufsichtsbehörden bewertet werden. Das Bundesministerium für Gesundheit wird die Entwicklung der Anzahl der Angebote sowie die entstehenden Formate und deren Zielgruppengerechtigkeit aufmerksam verfolgen“, so Doris Berve-Schucht. Das klingt nicht gerade nach besonderer Dringlichkeit. Unter der Hand ist immerhin zu hören, dass sich das Gesundheitsministerium von den Meldungen der Kassen mehr versprochen habe.

Etwas deutlicher, wenn auch nicht detaillierter, wird Helge Dickau, Pressereferent im Stabsbereich Kommunikation beim GKV-Spitzenverband: „Bei der Entwicklung der Regelungen wurde unabhängiger ärztlicher, psychologischer, pflegerischer, informationstechnologischer und sozialwissenschaftlicher Sachverstand einbezogen. Aufgrund der Neuartigkeit der Leistungen zur digitalen Gesundheitskompetenz und der schnellen Entwicklung digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen können insbesondere bezogen auf die Aspekte der Inhalte, der Methodik und Qualität der Leistungen zunächst nur generelle Regelungen getroffen werden, die in Zukunft weiterentwickelt werden können. Um die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen langfristig zu sichern, wird der GKV-Spitzenverband die Regelungen mit Unterstützung unabhängigen Sachverstands regelmäßig überprüfen.“

Konkrete Rückmeldungen erst im Frühjahr

Ganz tatenlos sind die Kassen allerdings nicht: So legt die mhplus Krankenkasse großen Wert darauf, die digitale Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten zu fördern und ihnen bei der Vielzahl an neuen digitalen Angeboten im Gesundheitswesen Orientierung zu bieten. Dabei kommt es laut Isabell Rabe, Pressesprecherin der mhplus besonders darauf an, alle Versicherten mitzunehmen. Denn der Zugang zu diesen Angeboten dürfe nicht davon abhängen, wie digital affin der oder die Einzelne ist. „Deshalb schaffen wir aktuell die Strukturen, um alle unsere Kundinnen und Kunden bei digitalen und telemedizinischen Anwendungen optimal zu unterstützen“, sagt Isabell Rabe. „Gemäß § 20k Abs. 2 SGB V planen wir diverse Angebote, die sich noch im Umsetzungsprozess befinden. Daher können wir erst im Frühjahr eine konkrete Rückmeldung zu diesen Angeboten und unseren Erfahrungswerten geben.“

Die Mobil Krankenkasse hat in Reaktion auf die Einführung der Rechtsvorschrift des § 20k Abs. 2 SGB V mit einer entsprechenden Anpassung ihrer eigenen Satzung die rechtliche Grundlage für Angebote zur Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz geschaffen. Inhaltlich umfassen diese Leistungen insbesondere Informationen zu digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen, wie telemedizinische Angebote, die Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen, digitaler Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen sowie digitaler Anwendungen in der Pflege (ambulant wie stationär), die Nutzung elektronischer Patientenakten und anderer Anwendungen der Telematik-Infrastruktur umfassen. Hinzu kommen Informationen zu Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sowie zu gesundheitskompetenten Organisationen im Gesundheitswesen. „Leider stellen wir fest, dass es am Markt derzeit kaum entsprechende Produkte gibt. Die Kassen stehen also vor der Herausforderung, sich eigene Konzepte zu überlegen und daraus adäquate Produkte zu entwickeln. Gleichzeitig trifft diese Marktsituation auf eine aktuell sehr geringe Kundennachfrage. Die Entwicklungen rund um das Thema Digitale Gesundheitskompetenz begleiten wir aktiv in verschiedenen Formaten“, sagt Dirk Becker, Pressesprecher der Mobil Krankenkasse.

Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) erhalten bereits seit dem Frühjahr 2021 Angebote, um ihre digitale Gesundheitskompetenz zu fördern. Den Weg dazu ebnete der TK-Verwaltungsrat mit einer aktuellen Satzungsänderung. Mit dem DiSK-Coach („Digital, Selbstbestimmt, Kompetent“) bietet die TK ihren knapp elf Millionen Versicherten ein konkretes Angebot, um ihr Know-how im Umgang mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) zu vertiefen. „Das Gesundheitswesen wird immer digitaler – das bringt viele Chancen mit sich, erfordert aber auch ein ständiges Dazulernen. Als Verwaltungsrat setzen wir uns seit Jahren für die Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz ein. Während der Pandemie stieg die Nutzung digitaler Angebote rasant an, deshalb ist digitale Gesundheitskompetenz aktueller und wichtiger denn je“, betont Dieter F. Märtens, alternierender Vorsitzender des TK-Verwaltungsrats und Mitglied im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes.

 

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2 Antworten

  1. Gibt es eigentlich auch analoge Schulungsanbieter?

    Das wäre doch am besten, um nicht Internet-affine Personen zu schulen, dass sie eine Präsenzveranstaltung erhalten.

    1. Vielen Dank für Ihren Hinweis! Analoge Schulungen können natürlich sehr sinnvoll für weniger digital affine Menschen sein. Teilweise bieten die Krankenkassen solche Präsenzschulungen für ihre Versicherten an.

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