„Schon kleine Maßnahmen können große Wirkung erzielen“

Dr. Tanja Matt und Lutz Eugen Geckle, verantwortliche Manager in den Bereichen New Work und Health bei der Unternehmensberatung Detecon, über die Umsetzung und Vorteile von New Work und agilen Arbeitsmethoden in Kliniken und die Zusammenarbeit von Personalabteilung, Führungskräften und Mitarbeitern.

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Das deutsche Gesundheitswesen, speziell der Klinikbereich, hat bei der Digitalisierung einen enormen Nachholbedarf. Gleichzeitig herrscht ein großer Fachkräftemangel. New Work könnte eine Möglichkeit sein, mit der digitalen Transformation schneller vorwärtszukommen. Wie definieren Sie New Work und was sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis dazu?

Tanja Maria Matt: Im engeren Sinne verstehen wir darunter die Einführung moderner Arbeitswelten und -weisen. Wir unterteilen unseren Ansatz in vier Dimensionen: Die erste lautet ‚principles and regulations‘ – darunter fassen wir das organisationsspezifische Zielbild von New Work sowie Regularien wie Dienstvereinbarungen zum mobilen Arbeiten oder der IT-Sicherheit. Dann folgen zwei weitere Dimensionen, die ich gerne „Möglichmacher“ nenne: Zunächst ‚places & spaces‘ – darunter fallen etwa Standortkonzepte und die Frage, wie sind diese Standorte gestaltet und welchen Zweck sollen sie erfüllen. Dazu zählt auch die Gestaltung der Flächenplanung und Raummodule in Zusammenarbeit mit Architekten. Die zweite Möglichmacherdimension heißt ‚tools & technologies‘. Diese umfasst das Spektrum von Hard- und Software bis zur Sensorik. Der Einsatz mobiler Geräte ist hier ein wichtiges Puzzlestück.

Die vierte Dimension ist die Wichtigste: ‚people & engagement“. Man kann die beste Technik der Welt hinstellen oder sich das tollste Zusammenarbeitskonzept ausdenken – wenn die Menschen diese nicht annehmen und nutzen, sind sie zwecklos. New Work Projekte sollten selbstreferentiell sein, d.h. das Vorleben, was sie beabsichtigen, einzuführen. Kommunikation und Transparenz sind genauso wichtig wie das Involvieren und Einbeziehen der Belegschaft in die Ausgestaltung und Umsetzung des New-Work-Konzeptes für das Krankenhaus. Zudem ist Befähigung zentral, d.h. zu erklären und gemeinsam zu erarbeiten, wie bspw. eine neu eingesetzte Technik funktioniert und welche Vorteile sie für Mitarbeiter und Patienten hat

Lutz Eugen Geckle: Allen muss klar sein: Veränderungsmanagement ist wichtiger denn je. Dazu hört auch: Manche Fähigkeiten werden abgewertet, etwa, dass jemand gut telefonieren kann. Es werden aber auch bestimmte Fähigkeiten aufgewertet, die Transformation im Denken zum Beispiel.

TM: Im weiteren Sinne gedacht, geht es also nicht nur darum, bunte Stühle und Kicker aufzustellen, sondern New Work betrifft Themen wie Führung und Zusammenarbeit. Und laut Frithjof Bergmann, dem Begründer der New-Work-Bewegung, ist vor allem eine sinngebende Arbeit wichtig. Dies bietet die Gesundheitsbranche ohnehin, – Menschen bei der Heilung zu helfen, ist eine der sinnhaftesten Tätigkeiten überhaupt.

New Work betrifft Themen wie Führung und Zusammenarbeit.“

Was und wie könnten Kliniken vom Umgang mit New Work in der Industrie lernen?

TM: New Work könnte im gesamten Krankenhaus abteilungsspezifisch adaptiert eingesetzt werden. Hier haben der administrative Bereich und der pflegende Bereich jeweils besondere Anforderungen. Administrativ geht es vor allem um mobiles Arbeiten, Selbstorganisation, Raumgestaltung. Da lässt sich auch von der Industrie einiges Abschauen. Allerdings gibt es keine Blaupause. Man muss New Work immer auf die eigene Organisation anpassen.  Ein zentraler Punkt ist aktivitätenbasiertes Arbeiten, also welche Tätigkeiten werden wo vollzogen und welche Räume brauche ich dafür? Dazu gehört auch im Team zu überlegen, was muss gemeinsam vor Ort gemacht werden und was kann mobil von zuhause erledigt werden. Wichtig ist auch: New Work soll kein Selbstzweck sein. Sondern es geht darum, mit und durch die Mitarbeiter die Arbeitsbedingungen zu verbessern, was dann automatisch die Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter optimiert. Dies zahlt sich auch für die Organisation aus und kommt beim Patienten an.

LEG: In Punkto Personal stehen die Kliniken im Wettbewerb mit anderen Industrien. Allerdings haben sie beim Sinn auch einen Vorteil. Die große Herausforderung ist der kontaktintensive Bereich, wie er in der Klinik üblich ist, also die Pflege. Wie viele Kontakte zum Patienten sind erforderlich? Lässt sich die Zahl verringern? Da gibt es interessante Konzepte, von denen sich lernen lässt, wie etwa von Buurtzorg in den Niederlanden. Im Zentrum der Versorgung durch Buurtzorg steht der Patient. Um ihn herum werden vom Buurtzorg-Team dann verschiedene Netzwerke aus dem Hausarzt, medizinischen Spezialisten, Apotheken und Krankenhäusern aufgebaut, die sich miteinander verschränken und so eine gute Versorgung sicherstellen. Übertragen auf die Klinik erfordert das New-Work-Stationskonzepte, die organisieren, wie zwischen Ärzten und Pflegpersonal besser zusammengearbeitet werden kann.

New Work soll kein Selbstzweck sein.“

Gibt es einen ganzheitlichen New Work-Ansatz und welche Rahmenbedingungen und welche Voraussetzungen erfordert dieser?

TM: Der Ansatz liegt letztendlich in den genannten vier Dimensionen in Verbindung mit den Themen Führung und Zusammenarbeit. Das ist überall umsetzbar, aber es muss eben auf die Rahmenbedingungen der Organisation angepasst werden – dabei kann es auch innerhalb einer Organisation bereichsspezifische Unterschiede geben.

LEG: Wichtig ist: Die Klinikleitung muss dahinterstehen, von der Administration bis zur ärztlichen Leitung, das ist absolute Grundvoraussetzung. Kliniken tun sich grundsätzlich schwer mit Prozessveränderungen. Aktuell besteht ein außerordentlicher Bedarf die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern. Was wird dazu gebraucht und was sollte davon in ein New Work-Konzept einfließen? Dazu benötigt man aber auch eine ehrliche Erhebung des Ist-Zustandes, um etwa durch Interviews und Befragungen festzustellen: Wo drückt die Mitarbeiter der Schuh und wo die Patienten? Auch die Sozialpartner müssen in diesen Prozess einbezogen sein und für das Thema gewonnen werden.

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Wie könnte oder sollte eine optimale New Work-Arbeitsumgebung in Kliniken aussehen?

TM: Dafür ist spannend, den Tagesablauf verschiedener Berufsgruppen – analog einer Employee Journey – zu beleuchten, um spezifische Pain Points aufzudecken und Optimierungspotential abzuleiten. Schon kleine Maßnahmen können große Wirkung erzielen. So zum Beispiel die Digitalisierung von Prozessen, wie der Dienstplanung. Bei Arbeitsumgebung im räumlichen Sinn haben Administration und Pflege unterschiedliche Voraussetzungen. Grundsätzlich möchte man aber die bereichsübergreifende Zusammenarbeit, Offenheit, Transparenz und Kommunikation steigern. Dafür braucht es bestimmte Räume, etwa in der Pflege. Und auch in der Administration haben sowohl kreative Workshopräume als auch Teeküchen ihren speziellen Wert.

Schon kleine Maßnahmen können große Wirkung erzielen.“

Welche New-Work-Ansätze können den Klinken konkret weiterhelfen, zum einen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und zum anderen im Klinikalltag beim Einsatz digitaler Instrumente und Netzwerke?

LEG: Vor allem die Neugestaltung der Kommunikation mit den Patienten sowie des medizinischen Personals untereinander ist ein wesentlicher Punkt. Im Krankenhauszukunftsgesetz sind ja beim Fördertatbestand 2 Digitalisierungsmaßnahmen berücksichtigt, Stichwort Patientenportal. Dabei geht es auch darum, was am Ort des Leistungsgeschehens passiert, etwa am Krankenbett. Hier lässt sich vieles umsetzen, zum Beispiel Dateneintragungen in Portale, Kommunikationsmittel zwischen Pflegekraft und Patienten, etwa über eine mobile Anwendung wie dem digitalen Notruf. Das ermöglicht der Pflegekraft einen größeren Freiraum, da sie eventuell nicht immer ins Zimmer des Patienten gehen muss, da sich vorab digital klären lässt, was der Patient benötigt und wie Pflegekräfte die Arbeitszeit effektiver nutzen können. Auch die Patienten, die nicht immer ans Bett gebunden sind, bekommen über eine solche mobile Kommunikation mehr Freiheiten sich in der Klinik zu bewegen. Gezielt herauszufinden, welche Möglichkeiten in der jeweiligen Klinik machbar sind, dafür ist der New Work-Ansatz bestens geeignet. Und letztendlich kann er auch dazu beitragen, die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern.

TM: Bzgl. Arbeitgeberattraktivität fallen mir die „Magnet-Krankenhäuser“ ein. Diese hatten in den 1980ern in den USA weniger Probleme mit dem Fachkräftemangel. Ihnen gemeinsam waren unter anderem flache Hierarchien, fachlich diverse Teams, mehr Entscheidungsbefugnisse und hohe Selbstverwirklichung – alles New-Work-Elemente. Damit zogen sie nicht nur Fachkräfte „magnetisch“ an, sondern steigerten auch die Patientenzufriedenheit. Für den Einstieg in New Work hat sich bewährt, mit der gemeinsamen Entwicklung eines Zielbilds zu beginnen und zu erarbeiten, welche Schwerpunkte die Umsetzung erfordert. Wichtig ist dabei zu klären, was die Motivation dahinter ist, etwa ob und wie die Arbeitgeberattraktivität und die Patientenzufriedenheit gesteigert werden, ob Prozessverbesserungen im Vordergrund stehen, eine Flächeneinsparung – und damit finanzielle Einsparungen – angestrebt wird oder andere Dinge. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung sonstiger Leitplanken werden Schwerpunkte bezüglich anzugehender Handlungsfelder gesetzt.

Wo sehen Sie Verantwortung für den Einsatz von New Work – bei den leitenden Ärzten oder im Personalwesen?

TM: Sowohl als auch. Im Grunde müssen alle Führungskräfte das unterstützen und treiben – das heißt, auch die leitenden Ärzte. Wir machen häufig die Erfahrung, dass New Work von der Personalabteilung getrieben wird. Darüber hinaus sind die IT, das Facility Management und der Betriebsrat weitere wichtige Stakeholder.

Inwieweit behindern Datenschutzvorschriften im Gesundheitswesen den Einsatz von New Work?

LEG: Natürlich setzen Sicherheits- oder Datenschutzaspekte der Kreativität und Flexibilität im Fall von Krankenhäusern gewisse Grenzen. Hygienevorschriften beispielsweise können Raumkonzepte einschränken. Datenschutz wird aber bisweilen gerne als Totschlagargument benutzt. Ich sehe das anders. Selbstverständlich muss man die Datenschutzvorschriften einhalten. Aber wenn Ärzteschaft und Pflegekräfte sich austauschen und ganzheitlich damit umgehen, gibt es auch Wege, New Work und eine offene Arbeitsumgebung im Rahmen des gesetzlich Erlaubten einzuführen.

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