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Tablet mit Bildern von Hirnscans als Beispiel für digitales Gesundheitswesen im Krankenhaus.

Das wird ein bisschen wehtun: Die Telematik­infrastruktur als Zumutung und Heilsbringer

Die Einführung der Telematikinfrastruktur (TI) bringt im deutschen Gesundheitswesen einen Prozess ins Rollen, der andere gesellschaftliche Bereiche bereits komplett umgekrempelt hat: die Digitalisierung.

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E-Health und Telemedizin, VSDM und Telematikinfrastruktur, TK Safe und Vivy – sehen Sie noch durch? Die schlechte Nachricht für alle, die sich vom zunehmenden Tempo der Digitalisierung im Gesundheitswesen getrieben und genervt fühlen, lautet: Das hört nicht mehr auf. Die gute ist: Dieser Digitalisierungsprozess hat in Deutschland mehr Struktur, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Natürlich werden wöchentlich neue Innovationssäue durch das Reich des Äskulap gejagt, die man am besten gar nicht gründlicher anschaut, weil selbst sie meist nur einmal laut quiekend vorbeihetzen, bevor ihnen die Luft ausgeht und sie nicht mehr gesehen werden.

Vielleicht tauchen aber einige der medizinischen Digitaloffenbarungen der vergangenen Jahre, um die es inzwischen still geworden ist, demnächst auch wieder auf. Denn so sehr viele Beteiligte in der Healthcare-Branche die Nase über die Verwalter und Gestalter deutscher Gesundheitspolitik – und vor allem über die Betreibergesellschaft Gematik – rümpfen: Wenn auch sehr spät, so ist den Regelsetzern doch gelungen, einen halbwegs verbindlichen, erkennbaren und ausfüllbaren Rahmen für die Digitalisierung der Gesundheitsbranche in Deutschland zu setzen.

Und das heißt: Es gibt jetzt wenigstens technische und organisatorische Vorgaben – und einen Zeitplan. Das Fehlen eines verbindlichen Regelwerks, auf das sich die widerstreitenden Interessengruppen niemals einigen konnten, setzte für Anbieter von Innovationen im Gesundheitsbereich immer wieder Stoppzeichen.

Telematikinfrastruktur – Zumutung und Heilsbringer

Die neue Etappe beginnt natürlich leider mit einer Zumutung namens Telematikinfrastruktur. Die Installation von Konnektoren ist nervig, der Austausch aller Kartenlesegeräte aufwendig und das PIN-getriebene Kartenspiel um SMC-Bs, SMC-KTs und eHBAs verliert selbst für geduldige Mediziner seinen Zauber regelmäßig dadurch, dass ein Spielverderber namens Patient mit Karten auftaucht, die nicht mehr lesbar sind. Das wird übrigens in Zukunft eher häufiger passieren als in der Vergangenheit.

Doch wer darüber klagt und die Frage stellt, was das eigentlich noch mit seinem eigentlichen Beruf zu tun hat, der sollte sich – als Akteur in einer Branche, in der seit Jahren kunstvoll regulatorische Barrieren gegen die Digitalisierung errichtet wurden – bei Leuten aus dem Handel, aus der Medien- oder Finanzbranche erkundigen, wieviel Spaß die Bits-und-Bytes-Revolution demjenigen macht, der gern in alten Regeln und Rollen weiterspielen möchte.

Dieser Blick über den Tellerrand des Gesundheitswesens hinaus wäre ohnehin sehr hilfreich, denn er kann all jene, die sehen wollen, erkennen lassen, dass die eigentliche Revolution nicht in der technischen Anbindung medizinischer Einrichtungen an die Normalitäten des Internetzeitalters besteht. Sondern dass in der nicht zu verhindernden Konsequenz eine Neubewertung des Arzt-Patienten-Verhältnisses winkt oder droht, die für viele Menschen im Arztberuf eine wirkliche Herausforderung in Bezug auf ihr Selbstbild und ihr Rollenverständnis bedeutet.

Vielleicht kann es deshalb für Mediziner und Medizinerinnen hilfreich sein, die Vorteile der TI-Anwendungen schätzen zu lernen und für sich selbst so gut wie möglich nutzbar zu machen, die in den kommenden zwei Jahren auf die aus ärztlicher Sicht vollkommen nutzenfreie Einführungsanwendung namens Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) folgen werden. Der mit den Nachfolgeanwendungen verbundene unkompliziertere Datenaustausch zwischen den Leistungserbringern zum Wohle der Patienten bringt hoffentlich so viel Freude, dass wenigstens ein Teil der Ärzteschaft gut damit umgehen kann, was sie ab 2021 mit der elektronischen Patientenakte erwartet.

Wenn die Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht von IT-Managern gestaltet werden soll, muss sie von Ärzten und Ärztinnen gestaltet werden

Jawoll: Nutzen, genießen, gestalten Sie die Segnungen der Digitalisierung im Mediziner-Alltag, die die TI-Anwendungen der kommenden Jahre mit sich bringen werden, bevor Patienten ab 2021 nicht nur nach Gesetzestext mündig sind, sondern auch die technischen Möglichkeiten haben, ihre Gesundheits- und Krankheitsinformationen selbst zu verwalten, zu teilen, zu verlangen. Das wird der praktische Vollzug eines Rechts, das der Patient schon immer hatte, aber selten eingefordert hat. Künftig wird er das tun. Auch weil neue Akteure auf den Plan treten, die den Patienten, der in anderen Bereichen schon ihr Kunde ist, dazu drängen werden, bislang gelebte Grenzen zu überschreiten. Darunter werden Technikanbieter, Cloud-Betreiber, App-Entwickler und Gerätehersteller sein, denen Usancen und Kultur der deutschen Patienten-Arzt-Beziehung nicht nur fremd, sondern herzlich egal sind. Dabei werden auch ethische Grenzen überschritten werden, weil weder das Streben nach Gewinn noch das Streben nach technischer Innovation zuerst von ethischen Erwägungen getrieben werden.

Auch wenn sich diese globale Entwicklung nicht national aufhalten lässt – sie lässt sich durch klare Regelwerke und belastbare, konfliktfähige Strukturen lenken und gestalten. Und genau das liefert die vielgescholtene und in einigen Teilen ihrer Ausgestaltung tatsächlich fragwürdige deutsche Telematikinfrastruktur. Denn an deren Spezifikationen werden sich auch Apple und Amazon, Samsung und Google halten müssen, wenn…

…wenn es die Gematik als Regelsetzer künftig noch gibt. Zum Jahreswechsel 2017/18 hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Umbau der Betreibergesellschaft angekündigt, mit der vor allem die langwierigen Abstimmungen und Kompromisssuchen zwischen den Gesellschaftern mit ihren oft widerstreitenden Interessen verkürzt werden sollen. Das Tempo der Einführung digitaler Innovationen soll sich erhöhen, die Planungssicherheit für die technischen Anbieter verbessern.- Damit sie schneller entwickeln und liefern können, was Patienten und Ärzten wirklich hilft.

Sollte das gelingen, ohne schützenswerte Interessen (und Daten) von Patienten zu gefährden, könnte die merkwürdige Gematik mit ihrer anstrengenden und nervtötenden Telematikinfrastruktur vielleicht doch noch einmal ein Freund der deutschen Ärzte werden.

 

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