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Aussichten Krankenhauslandschaft

Schöpferische Zerstörung

Die deutsche Kliniklandschaft ist krank. Immer mehr Krankenhäuser geraten in wirtschaftliche Schieflage. Das konstatiert der Krankenhaus Rating Report 2021. Die mögliche Therapie: Ein Abbau der Kapazitäten, vergleichbar der Luftfahrtbranche und eine zunehmende Ambulantisierung nach dem Vorbild Skandinaviens.

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Seit 2017 verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser. Ein Drittel weist im Jahr 2019 einen Jahresverlust aus, schreibt also rote Zahlen. Das stellt der Krankenhaus Rating Report 2021 vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und hcb Institute for Health Care Business unbarmherzig fest. „13 Prozent der Kliniken haben sogar eine hohe Ausfallwahrscheinlichkeit und, um es im Banken-Jargon auszudrücken: Ramsch-Status“, sagt Professor Dr. Boris Augurzky, Kompetenzbereichsleiter Gesundheit am RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und leitender Autor des Krankenhaus Rating Reports. (Zum Interview)


„Auf Standortebene machen vermutlich sogar 41 Prozent der Kliniken einen Jahresverlust“, konstatiert die Erhebung „Zur Lage der Krankenhäuser“. 27 Prozent der Kliniken befinden sich demnach im gelben Bereich. „Die Gelben könnten auch in den roten Bereich abrutschen und müssen sich anstrengen, um in den grünen Bereich zu kommen“, sagt Studienleiter Professor Dr. Boris Augurzky. Lediglich 60 Prozent sind demnach wirtschaftlich stabil, zumindest im Moment. Auf einer aktuellen Führungskräftetagung stellte er das Thema unter dem Titel vor:  Wohl nicht von ungefähr lautet der Titel der Erhebung „Ruhe vor dem Sturm?“ Der Krankenhaus Rating Report entwirft ein differenziertes Bild der deutschen Kliniklandschaft: Private und freigemeinnützige Krankenhäuser schneiden am besten ab. Kommunale Kliniken in ärmeren Kreisen schneiden jedoch genauso gut ab wie freigemeinnützige Krankenhäuser. Die Ertragslage ist in Ost-Deutschland weiterhin am besten, schwierig dagegen in Niedersachsen/Bremen, Bayern und Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg liegt der Anteil der gefährdeten Kliniken sogar bei 46 Prozent, in Bayern bei 42 Prozent, in Niedersachsen/Bremen bei 40 Prozent. Kleine Krankenhäuser schneiden schlechter ab als große. Ketten arbeiten wirtschaftlich solider als Solisten und eine Spezialisierung erweist sich wirtschaftlich als vorteilhaft.

Sinkender Kapitaleinsatz und stagnierende Förderquoten

Als eine der Ursachen für die schlechte Lage der Kliniken macht der Report fehlende Investitionen aus. Weil in den zurückliegenden Jahren der Kapitaleinsatz der Kliniken gesunken ist und Förderquoten auf niedrigem Niveau stagnieren, hat sich ein wahres Investitionsgebirge entfaltet: Der jährliche Investitionsbedarf, um bestehendes Sachanlagevermögen zu halten, beträgt 5,5 Mrd. Euro, inklusive der Universitätskliniken sogar 6,3 Milliarden Euro. Finanzmittel, um das abzutragen, sind rar geworden: Die Investitionsfördermittel durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) liegen deutschlandweit bei 3,5 Prozent im Verhältnis zu den Krankenhauserlösen. Erforderlich für die Überlebensfähigkeit der Kliniken wäre laut der Erhebung aber mindestens das Doppelte, nämlich sieben bis acht Prozent – und damit das Niveau von vor 25 Jahren.

Eine weitere Ursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegt in der stationären Leistungsmenge: Während hier von 2006 bis 2016 noch ein Wachstum der Fallzahlen von 1,5 Prozent pro Jahr verzeichnet wurde, nimmt diese seit 2017 jedes Jahr um 0,2 Prozent ab. Dazu kommt ein massiver Rückgang der Fallzahlen im Jahr 2020 um insgesamt fast 13 Prozent und davon sogar um 18 Prozent bei ambulant-sensitiven Fällen. Mit dem vermehrten Auftreten von Coronafällen gingen zum Beispiel die Hauptdiagnosen von Asthma um 29 Prozent und von chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) um 28 Prozent zurück. Die Erlösminderungen aus diesem Rückgang wurden durch Ausgleichszahlungen von mehr als 10,2 Mrd. Euro aufgefangen, sodass 2020 in wirtschaftlicher Hinsicht ein gutes Jahr für Krankenhäuser gewesen sein sollte. Für 2021 erwartet Professor Dr. Augurzky allerdings wieder eine Verschlechterung, mit dann 29 Prozent der Kliniken in den roten Zahlen. Und ab 2022 ist die Entwicklung ungewiss. Wenn sich der enorme Rückgang der Fallzahlen 2020 und 2021 in den kommenden Jahren verstetigen sollte, käme es zu einer erheblichen Verschlechterung der Lage der Kliniken.

Auch der demografische Faktor verschafft den Krankenhäusern, wie auch anderen Branchen, massive Probleme: Es droht ein starker Engpass der Personalressourcen. Während die Zahl der 65-Jährigen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden, jährlich ständig zunimmt, sinkt auf der anderen Seite die Zahl der 20-jährigen Berufseinsteiger sukzessive. „Das heißt, immer weniger Menschen können mithelfen, eine Medizin und Pflege in Würde zu erbringen“, sagt Professor Augurzky. Mit großen Kampagnen werben zum Beispiel die Stuttgarter Krankenhäuser um Personal. Doch die offenen Stellen sind teils nur mit externen Kräften zu besetzen. Notfalls werden planbare und aufschiebbare Operationen abgesagt. In Brandenburg ist der Fachkräftemangel in der Pflege bereits da. Seit mehr als einem Jahr können Stellen für Pflegekräfte nicht besetzt werden. Und Corona deckt gerade auf, wie schwer der Personalmangel, etwa in der Intensivpflege wiegt. Die Lage ist teilweise dramatisch.

Konsequentes Gegensteuern erforderlich

Wäre Professor Augurzky selber Arzt, würde er der Krankenhausversorgung eine konsequente Therapie verordnen. „Einschneidende Anpassungen der Kapazitäten sind erforderlich, um die Lage zu stabilisieren.“ Wenn die Fallzahlen niedrig bleiben, kommt es im Laufe der kommenden Jahre zu einem Abbau von Betten der Krankenhäuser um mehr als 15 Prozent. Im Jahr 2022 würden dann möglicherweise zwar immer noch mehr als knapp zwei Drittel der Kliniken negative Erträge erwirtschaften. Aber bis 2030 wäre dann wieder ein Absinken auf die auch schon für 2021 erwartete Zahl 29 Prozent der Krankenhäuser mit roten Zahlen möglich, so seine Modellrechnung.

„Über das Jahr 2022 brauchen wir für die Kliniklandschaft voraussichtlich noch mehr, nämlich so etwas wie eine Art schöpferische Zerstörung“, sagt Professor Dr. Boris Augurzky. Um das richtig zu verstehen, hilft ein Blick auf die Zahl der stationären Belegung: Europaweit hat Deutschland im Jahr 2019 die höchste Zahl an Krankenhausfällen je Einwohner: 23,5 je 100 Einwohner – das sind fast 80 Prozent mehr als etwa Dänemark aufweist (13,1) und 145 Prozent mehr als die Niederlande (9,6). Dort werde mehr ambulant am Krankenhaus behandelt. „Ich rechne mit einer Entwicklung wie in der Luftfahrt“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Man benötigt, wie schon dargestellt, weniger Kapazitäten und damit weniger Flieger – hier also weniger Krankenhäuser.“

Neues Zielbild für die Gesundheitsversorgung

Teil der schöpferischen Zerstörung könnte eine zunehmende Ambulantisierung sein, d.h. bislang stationäre Fälle würden dann ambulant erbracht. Die Umwidmung einer Klinik in ein ambulantes Gesundheitszentrum könnte eine Folge davon sein. „Aber nicht jede stationsersetzende Leistung ist ohne ein Krankenhausbett im Hintergrund möglich“, sagt Professor Augurzky. „Ein Großteil der stationsersetzenden Leistungen dürfte weiterhin in Kliniken erbracht werden. Kliniken könnten sogar Engpässe im KV-Bereich, zum Beispiel auf dem Land, schließen. Zudem dürfte Einiges in die digitale Behandlung wandern und die Kliniken – insbesondere auch personell – entlasten.“

Die Studie skizziert neben dem Status Quo und möglichen Entwicklungen auch ein neues Zielbild für die Gesundheitsversorgung. „Eine patientenorientierte Versorgung aus einer Hand schafft die Voraussetzung für eine hohe Versorgungsqualität“, heißt es dort. „Zum Erhalt der Gesundheit kommen zum einen vermehrt digitale Begleiter zum Einsatz, zum anderen übernimmt der Hausarzt stärker als bisher die Funktion des ‚Kümmerers’ beziehungsweise ‚Case Managers’, der im Zusammenwirken mit anderen medizinnahen Berufsgruppen die Gesundheit seiner Patienten im Auge hat und pflegt.“

Neue Rolle für das herkömmliche Krankenhaus

Dem Krankenhaus käme dabei eine neue Rolle zu: Es entwickelt sich zum Zentrum für fachärztliche Versorgung und übernimmt mehr Verantwortung für die Koordination der lokalen Versorgung. Die ambulante Versorgung würde dabei in „Gesundheitszentren“ gebündelt. „Kleine Grundversorger können darin aufgehen und zum Prototyp sektorenübergreifender Versorgung werden“, ist Professor Augurzky überzeugt. So könnte ein solches integriertes Gesundheitszentrum, ob mit oder ohne Betten, flächendeckend die stationäre und ambulante fachärztliche Basisversorgung sicherstellen und als mögliche Leistungssegmente neben einfachen stationären Behandlungen, komplexe ambulante Leistungen, ambulante OPs, Notfallversorgung, Kurzzeitpflege, ambulante Pflege sowie eine ambulante fachärztliche Versorgung – ggf. in Kooperation – anbieten. Wenn auch das Vergütungssystem geeignet angepasst würde, könnten kleine Grundversorger in eine neue Rolle hineinwachsen: Sie übernehmen Verantwortung für die lokale Versorgung, betreiben vermehrt Prävention zur Vermeidung von Krankheitsfällen, verbinden sich via Telemedizin mit anderen Anbietern und mit mobilen Gesundheitsdiensten und koordinieren insgesamt die Angebote im medizinischen Umfeld. „Eine runde Sache wird das dann, wenn ein großes Krankenhaus auf Regionsebene als Regionalversorger und ein Maximalversorger überregional mitwirkt“, ist Professor Dr. Boris Augurzky überzeugt. Eine wichtige Basis dafür liefert die digitale Vernetzung zwischen Versorgern aller Ebenen einerseits und mit den Bürgern beziehungsweise Patienten und deren digitalen Begleitern sowie der elektronischen Patientenakte (ePA) andererseits.

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