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Hebammen, Physiotherapeuten und weitere Heilmittelerbringer werden vorerst von der Telematikinfrastruktur ausgeschlossen

Telematikinfrastruktur für Heilmittelerbringer – Ausschluss statt Anschluss

Gesundheitsminister Jens Spahn propagiert den digitalen Fortschritt durch das kurz vor der Sommerpause verabschiedete Patientendaten-Schutz-Gesetz. Doch bei der elektronischen Patientenakte im Rahmen der Telematikinfrastruktur, die Ärzte, Zahnärzte, Psychologen, Apotheken und Kliniken vernetzt, bleibt ein wesentlicher Teil der Leistungserbringer vorerst außen vor, obwohl sie im Gesetz erwähnt werden: die Heilmittelerbringer wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Podologen und Hebammen.

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Der Ausbau der Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen hat Fahrt aufgenommen und viele Akteure sind schon Teil dieses Netzwerks: Im Gegensatz zu Hebammen sind die meisten niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bereits an die Telematikinfrastruktur angebunden. Die Apotheken hatten eine gesetzliche Frist bis zum 30.09.2020 für die Anbindung einzuhalten, die Krankenhäuser haben bis zum 31.12.2020 Zeit. – Und die anderen?

„Weitere Leistungserbringergruppen wie Hebammen, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Pflegeeinrichtungen, Vorsorgeeinrichtungen und Rehabilitationseinrichtungen sowie der Öffentliche Gesundheitsdienst werden schrittweise folgen“, heißt es zwar im Patientendaten-Schutz-Gesetz, das am 10.07.2020 verabschiedet wurde. Die Frage ist nur: Wann wird das sein?

Freiwillige Anbindung an die Telematikinfrastruktur für Hebammen, Physiotherapeuten und Pflegeeinrichtungen ab dem 01. Juli 2021

Ab dem 01.01.2021 müssen alle privaten und gesetzlichen Kassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) anbieten. Diese Akte ist eine sektorenübergreifende digitale Dokumentensammlung unter der Kontrolle der Versicherten. Wenn von der oder dem Versicherten gewünscht, können Impf- und Mutterpass, Erkrankungs- und Behandlungshistorie sowie die persönlichen Erklärungen eines ganzen Lebens in der elektronischen Patientenakte (ePA) dokumentiert werden. Auf diese Daten lässt sich dann ausschließlich mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) der Patienten und dem Heilberufsausweis (eHBA) der Ärzte sowie einer Institutionskarte (SMC-B) der medizinischen Einrichtungen im Rahmen der Telematikinfrastruktur zugreifen.

Prinzipiell sieht der Gesetzgeber darüber hinaus ab dem 1. Juli 2021 auch eine freiwillige Anbindung an die Telematikinfrastruktur für Hebammen, Physiotherapiepraxen und Pflegeeinrichtungen vor. Dadurch soll unter anderem ermöglicht werden, dass Patienten bei Bedarf auch diesen „weiteren Leistungserbringergruppen“ Zugriff auf Daten ihrer ePA gewähren können.

Allerdings: wie es derzeit aussieht, wird das aus technischen und organisatorischen Gründen auf Jahre hinaus nicht möglich sein. Das zumindest befürchten einige Verbände dieser Leistungserbringer.

Nicht alle Heilberufe können sich in der Telematikinfrastruktur authentifizieren

Laut aktuellem Gesetzentwurf dürften die Praxisinhaber zwar selbst auf die elektronische Patientenakte zugreifen, vorausgesetzt sie verfügen über einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) und eine Institutionskarte (SMC-B). Aber genau daran hapert es. Das Problem: Es gibt bislang keine gemeinsame Ausgabestelle, weder für die Heilberufsausweise noch für die SMC-Bs. Hier muss schnellstmöglich eine Lösung gefunden werden, verlangen die Verbände der Heilberufler. Denn bis heute sei nicht erkennbar, wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Podologen oder Hebammen ab dem 1. Juli 2021 eine geeignete Authentifizierungsmöglichkeit erhalten sollen.

„Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema und sind eigentlich politisch Befürworter der Digitalisierung, da man zahlreiche Prozesse dadurch verbessern kann“, sagt Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende im Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) e.V., zu dem sich fünf maßgebliche Berufsverbände der Heilmittelbranche von Physiotherapeuten, über Ergotherapeuten bis zu Podologen zusammengeschlossen haben. Sie hat das Gesetzgebungsverfahren sehr eng begleitet. Und ist jetzt enttäuscht: „Einige Berufsgruppen wurden komplett abgehängt und ausgeschlossen. Wir würden gerne besser beteiligt bei der Entwicklung dieser digitalen Prozesse, beispielsweise durch Pilotprojekte. Bestimmte Dinge müssten zudem mit der gesetzlichen Krankenkasse ausgehandelt werden. Und es müsste alles viel schneller gehen“, klagt die Verbands-Chefin.

Schlimm sei auch, dass aus ihrem Verband erst mal nur der Anschluss der Physiotherapeuten vorgesehen sei, nicht aber der Ergotherapeuten und Podologen. „Es macht keinen Sinn, dass die anderen Heilmittelerbringer nicht angeschlossen sind. Es macht nur Sinn, wenn alle Leistungserbringer dabei sind und sich austauschen. Sonst ist das Netz sinnlos, sonst gibt es keinen wirklichen Informationsstand über den Behandlungsgrad oder den Stand der Therapie eines Patienten, der etwa im Rollstuhl sitzt.“

Ein Vorschlag: das elektronische Gesundheitsberufe-Register als Herausgeber von Heilberufsausweisen für Heilmittelerbringer

Ihr Vorschlag: Es müssten alle Beteiligten möglichst bald regelmäßige Telekonsile abhalten, vom Arzt über den Physiotherapeuten bis zum Ergotherapeuten – alle die mit der Versorgung eines Patienten betreut sind, sollten dort miteinander kommunizieren. Und die Krankenkassen sollten diese Leistung auch entsprechend vergüten.

Vor allem aber drängt sie auf das elektronische Gesundheitsberufe-Register. Dieses könnte die Rolle des Herausgebers von Heilberufsausweisen für die Heilmittelerbringer sein, denn Kammern, die diese Funktion für die Ärzteschaft übernehmen, gibt es für die bislang ausgeschlossenen Berufsgruppen nicht. Doch obwohl das Gesundheitsberufe-Register seit Jahren in Planung ist, existiert es bislang nur als Phantom: „Da haben sich die Länder seit dem Jahr 2003 nicht auf einen Staatsvertrag geeinigt“, schüttelt Ute Repschläger den Kopf. „Die Länder versichern uns immer, dass sie kurz davor sind, etwas zu veröffentlichen. Aber ich glaube das erst, wenn die Länder dann idealerweise beides ausgeben, die SMC-B-Karte und den eHBA, dann wäre das eine passgenaue Lösung.“

Keine Kammer und keine Approbation? – Kein Heilberufsausweis und kein Zutritt zur Telematikinfrastruktur für Hebammen und Co.!

Dass die Anbindung im Patientendaten-Schutz-Gesetz festgeschrieben wurde ist für Ursula Jahn-Zöhrens, die im Präsidium Hebammenverband als Beirätin für den freiberuflichen Bereich und auch für die Telematikinfrastrukturanbindung verantwortlich ist, grundsätzlich soweit in Ordnung. Der Verband vertritt 85 Prozent aller Hebammen in Deutschland. „Aber wir sind ja nicht approbiert. Und nicht-approbierte Berufe wurden lange von der Politik nicht mitgedacht und sind nun freiwillig angebunden. Genau dieser Vorgang erschwert nun die Klarheit über die Ausgabe des eHBAs“, klagt sie. „Hebammen sind eigenverantwortlich tätig und brauchen eine eigenständige Anbindung, da wir nicht in Abhängigkeit zu einem Dritten stehen, auch wenn es mit der Pflege Überschneidungen gibt“.

Was sie besonders ärgert: „Wir sind beim Gesetzgeber auf taube Ohren gestoßen mit unserem Bemühen und Angebot, aktiv die erforderlichen Strukturen aufzubauen. Unser Vorschlag wurde von der Politik leider nicht aufgenommen, warum auch immer. Die Mühlen mahlen einfach viel zu langsam. Auf dem Papier sind wir angebunden, aber es weiß niemand, wie es technisch geht.“

Dass die Telematik für den 01.07.2021 auf freiwilliger Basis angekündigt sei, nutze wenig. Denn: „Wenn die Ausgabe der eHBA nicht geregelt ist, haben wir eine unerträgliche Benachteiligung. Die Frage ist, warum das nicht für alle Heilberufe und für alle Betroffenen über eine Stelle ausgegeben werden kann?!“

Auf die Frage, wie das Problem der fehlenden Institutionskarte (SMC-B), ohne die eine wirkliche Anbindung ja nicht erfolgen kann, gelöst werden können, bleibt Ursula Jahn-Zöhrens nur ein Schulterzucken. „Zum Beispiel die Bundesdruckerei könnte die Karte ja ausgeben. Aber es fehlt eben die übergreifende Stelle, die die Berufsberechtigung feststellt. Daher wissen wir leider auch nicht, wie und wann es weitergeht.“

 

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