„Wir sind ja offen für digitale Veränderungen – aber sie müssen Nutzen bringen.“ Das ist ein oft gehörter Satz von Ärztinnen und Ärzten und auch von den Ärztevertretern, vor allem im Zusammenhang mit den Aufwänden, die mit der Einführung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) – wie dem E-Rezept oder der elektronischen Patientenakte (ePA) – verbunden sind.
Richtig daran ist, dass Veränderungsaufwand in Organisationen und Systemen von den Menschen dann eher akzeptiert wird, wenn dadurch spürbare Verbesserungen absehbar sind. Richtig sind aber auch zwei weitere Aspekte.
- Kein Nutzen ohne Veränderungsaufwand.
- Das Ziel der Digitalisierungsprozesse im deutschen Gesundheitswesen kann nicht allein darin bestehen, Nutzen für Ärztinnen und Ärzte zu stiften. Im Mittelpunkt muss die Frage stehen, ob sich die Bedingungen für die Menschen in Deutschland für die Vermeidung und auch für die Behandlung und Nachbehandlung von Krankheiten verbessern. Dabei spielen Ärztinnen und Ärzte eine wesentliche Rolle. Aber nicht nur sie.
Für die Beurteilung des Aufwand-Nutzen-Verhältnisses von digitalen Neuerungen ist deshalb auch wichtig zu berücksichtigen, für wen sich welcher Aufwand und welcher Nutzen ergibt. Diese differenzierte Betrachtungsweise kommt in aktuellen Veröffentlichungen, die oftmals durch Interessen einzelner Einflussgruppen geprägt sind, nicht selten zu kurz.
Wir möchten an dieser Stelle einen Beitrag zur transparenten Sicht darauf schaffen,
- wer welche Vorteile aus einzelnen digitalen Anwendungen zieht oder ziehen könnte,
- wo die Herausforderungen bei der Einführung der verschiedenen Anwendungen für einzelne Beteiligte liegen und
- wie die aktuellen Hindernisse im Arbeitsalltag aussehen.
Wir möchten es damit den verschiedenen Zielgruppen ermöglichen, ihre eigenen Erfahrungen und Probleme mit denen anderer Nutzer abzugleichen und auch einen Blick über den Tellerrand zu werfen: Welche Vorteile oder Herausforderungen haben die Nutzer in anderen Bereichen des Gesundheitswesens und wie zahlt das Ganze auf das gemeinsame Ziel ein – eine bessere Versorgung der Patienten?
Wer dieses Ziel verfolgt, muss viele Zielgruppen, viele Interessen und viele Aspekte im Blick haben. Deshalb gehen wir das Thema sukzessive an. Wir starten mit dem E-Rezept. Weitere Themen werden folgen und dabei beziehen wir die Beteiligten aller Seiten gern mit ein.
Deshalb: Lassen Sie uns gern wissen, welche Vorteile und Herausforderungen Sie in Ihrem Alltag sehen! Wir freuen uns auf Ihre Erfahrungen, Anregungen und Hinweise.
Für Ärztinnen und Ärzte
Weniger Patienten am Empfang und im Wartezimmer
Weniger Wege zum Empfang (Signatur von Rezepten am Arbeitsplatz)
Einsparung von Porto und Papier
Vereinfachung von Verordnungen bei Telefon- und Videosprechstunden
Vereinfachung der Ausstellung von Folgerezepten
Ausdruck: nur noch bei Bedarf, muss nicht mehr unterschrieben werden
E-Rezept-Daten für die Arzneimittelhistorie in der elektronischen Patientenakte (Vorteil erst in späterer Entwicklungsstufe)
Weniger Fehler und damit weniger Rückläufer aus Apotheken (langfristig)
Vereinfachung für Pflegeheim-Medikationen (erst mit Anbindung der Pflegeheime)
Anfangs viele Fragen der Patienten
Rückgriff auf Muster 16 im Falle von technischen Problemen
Weiterhin Papierrezepte für alle weiteren Verordnungstypen (werden kontinuierlich Richtung E-Rezept umgestellt)
Neuorganisation interner Prozesse (z.B. Abläufe in der Praxisorganisation, eHBA für alle Ärzte, Berechtigungsmanagement im PVS)
Schulung des Praxisteams
Signieren dauert zu lange (ist auch abhängig von PVS)
Arzneimittel & Hilfsmittelkombinationen (z.B. Insulin + Teststreifen) müssen noch lange in E-Rezept und Muster 16 gesplittet werden
Umstellung der internen Prozesse
Ausstellung falscher E-Rezepte (z.B. Hilfsmittel über Freitextfeld) sorgt für Zusatzaufwand (Patient müssen neues Rezept holen)
Verbesserungen bei PVS
Einspielen von Updates
Informationen für Patienten zur Verfügung stellen, z.B. Flyer oder Plakat im Wartezimmer
Interne Prozesse reorganisieren
Für Medizinische Fachangestellte (MFA) bzw. Praxisteams
Weniger Patienten am Empfang und im Wartezimmer
Ausdruck: nur noch bei Bedarf, muss nicht mehr unterschrieben werden
Anfangsaufwand, viele Fragen von Patienten
Umstellung der internen Prozesse
Informationen für Patienten zur Verfügung stellen: z.B. Flyer, Plakate
Für Patientinnen und Patienten
Einsparung von Zeit und Wegen
Videokonsultation und Folgerezept: kein Arztbesuch notwendig (außer 1x im Quartal um die eGK zu stecken)
Bequemere und schnellere Suche nach einer Apotheke in der Nähe
Bessere Übersicht, Lesbarkeit und Verständlichkeit der Rezepte (bei Nutzung der App)
Grundlage für weitere digitale Services (spätere Entwicklungsstufen)
Nutzung der E-Rezept-App ist schwierig (komplizierte Erst-Registrierung/Identifikation)
Bei Ausfall von TI oder Internet in der Apotheke ist das Abrufen eines E-Rezepts nicht möglich, somit auch kein Medikamentenerhalt
Zeitversetzte Signatur kann dazu führen, dass E-Rezept noch nicht zur Verfügung steht, wenn Patient in der Apotheke ist
Ausstellung falscher E-Rezepte (z.B. Hilfsmittel über Freitextfeld), Patienten müssen neues Rezept holen
eGK-Einlösung: Patienten haben nicht immer eGK dabei und erhalten dann kein Medikament in der Apotheke
App: Registrierung benötigt die PIN zur eGK oder elektronischen Personalausweis + PIN (außerdem sind dafür keine PIN-Zurücksetzungsbriefe mehr möglich)
Für Akutmedikation sollten E-Rezepte sofort signiert werden (Einzel- oder Komfortsignatur)
Für Folge-E-Rezepte eignet sich auch die zeitversetzte Stapelsignatur (Kommunikation gegenüber Patienten wichtig, z.B. über Flyer: Wann ist das Rezept verfügbar?)
Breit gestreute Informationen für Patienten, vor allem auch für ältere Zielgruppe
Für Apothekerinnen und Apotheker und ihr Team
Keine manuelle Eingabe von Daten oder OCR-Schrifterkennung mehr, Reduzierung der Nachfrage- und Fehlerquote
Verringerter Aufwand für Anrufe und Faxe
Weniger Papieraufwand, z.B. für Abrechnung
Höhere Fälschungssicherheit durch QES
Weniger manueller Dokumentationsaufwand im Vergleich zu den handschriftlichen Notizen auf Muster 16
Perspektivisch taggenaue Abrechnung mit den Krankenkassen (dadurch Einsparung von Abrechnungsgebühren insgesamt i.H.v. 100 Mio Euro jährlich)
Höhere Integration in Apothekenverwaltungssysteme (AVS) & Kommissionierer, höhere Automatisierung möglich
Anfangs viele Fragen der Kunden
Neuorganisation von internen Prozessen
Viele nicht-digital-affine Personen (z.B. Palliativpatienten, Heimbewohner)
Im Falle technischer Probleme kein Abrufen und Dispensieren des E-Rezepts möglich
Technische Ausfälle führen zu Umsatzverlusten
Hoher Kostenaufwand für Redundanzen (mehrere SMC-Bs, Kartenterminals und Konnektoren für Ausfallsicherheit), inklusive Installation und Wartung
Aufwand für Schulung des Teams in einem dynamisch entwickelnden Umfeld (ständige Änderungen und Updates)
Hoher Aufwand im Falle eigener Online-Lösungen
Teilweise Probleme bei AVS
Kunden haben keine eGK dabei
Rezepte stehen teils noch nicht zum Abruf bereit, wenn der Patient in der Apotheke ist, da Signatur durch Arzt teilweise erst zeitversetzt per Stapelsignatur erfolgt
Patienten vergessen eGK in der Apotheke und sorgen damit für zusätzlichen Aufwand
Ärzte stellen falsche E-Rezepte aus (z.B. Hilfsmittel über Freitextfeld) und sorgen damit für Zusatzaufwand
Retaxgefahr bei fehlerhaften E-Rezepten
Kunden können eGK nicht in Apotheke bringen (Hausbesuche, Heimversorgung) und Arzt druckt keine E-Rezept-Token aus
Verblisterung ist technisch noch nicht gelöst (Chargennummern-Übertragung gemäß „Mitwirkungspflichten“) – Übergangslösung ist noch nicht im AVS umgesetzt
Hohes Entwicklungstempo der AVS-Anbieter, daher auch Fehler in den Systemen
Verunsicherung bei Apotheken-Teams (Wann wird das besser? Wann kann ich wieder ordentlich arbeiten? Werde ich überflüssig, weil alles automatisiert wird?)
bessere Informationen für Ärzte und Patienten (wie bekommt man die Leute zum Lesen/Annehmen der Informationen, wo kann man sie sinnvoll zur Verfügung stellen/dort wo man sie benötigt zum richtigen Zeitpunkt?)
Übergangslösungen (z.B. bei Verblisterung: Eintragung einer Pseudo-Chargennummer, keine Retaxierung)
Für Ärztinnen und Ärzte
Schnelle, einfache und sichere Kommunikation
Erleichterter Kontakt mit anderen Einrichtungen/Zuweisern (statt Fax, Telefon)
Alle gängigen Dateiformate als Anhang möglich (Nachrichten, aber auch Arztbriefe, AUs usw., Dateien < 25 MB, langfristig auch größere Dateien)
Einheitliche, flächendeckende Verwendung im gesamten deutschen Gesundheitswesen (Ärzte, Psychotherapeuten, Apotheken, Kliniken – weitere Gruppen folgen kontinuierlich)
Nur authentifizierte Empfänger, großer Nutzerkreis
Weniger Papierbriefe
Vermeidung von Medienbrüchen, Fehlerreduktion
Automatisierte Verarbeitung im PVS möglich
Reduzierung der Kosten (Porto)
Mehr- und Umstellungsaufwand durch KIM-Einführung
Neuorganisation interner Prozesse (KIM-Adressen und Postfächer, Anbindung von KIM-Adressen an SMC-B oder eHBA, Berechtigungs- und Rollenmodell)
KIM wird häufig nur für eAU genutzt, weitere Möglichkeiten und Vorteile sind nicht bekannt bzw. werden nicht genutzt
Umsetzung in einigen lokalen Systemen/PVS verbesserungsbedürftig (zu langsam, nur ein Empfänger möglich, keine Antwortmöglichkeiten etc.)
Aktuell nur Versand von Dateien < 25 MB
Keine Quittungen z.B. für Arztbriefe
Teilweise schlechte Qualität des KIM-Adressbuchs bzw. der Daten im Verzeichnisdienst (VZD)
Suche nach KIM-Adressen ist schwierig bzw. nicht nutzerfreundlich (abhängig von lokalem System/PVS)
Einführung bzw. Nutzung von KIM 1.5 + (Versand von Dateien bis zu 500 MB möglich); das Flag „+“ muss dabei über den Verzeichnisdienst (VZD) mittels KIM-Clientmodul aktiv gesetzt werden, um große Dateien senden und empfangen zu können
KIM-Anwendungskennzeichen im VZD soll angeben, für welche Dienste die KIM-Adresse genutzt werden kann, z.B. eAU, eArztbrief, eDMP usw.
Für Medizinische Fachangestellte (MFA) bzw. Praxisteams
Weniger Aufwand für Ausdrucke/Papierbriefe
Einführungsaufwand, Umstellung auf KIM-Adressen/KIM-Mail
Teilweise schlechte Qualität des KIM-Adressbuchs bzw. der Daten im Verzeichnisdienst (VZD)
Suche nach KIM-Adressen ist schwierig bzw. nicht nutzerfreundlich (abhängig von PVS)
Verbesserungen im Verzeichnisdienst (VZD) sind geplant
Verbesserungen in PVS
Für Patientinnen und Patienten
Informationen schneller bei anderen Ärzten/Einrichtungen (z.B. eArztbrief, eAU)
Z.T. weniger Aufwand (z.B. eAU)
Sicherheit der eigenen Daten
kein Aufwand, da KIM von Patienten nicht genutzt werden kann
kann nicht durch Patienten selbst genutzt werden
Für Apothekerinnen und Apotheker und ihr Team
Direkt-Zuweisung von eRezepten, z.B. durch Arzt und Pflegeheim im rechtlich zulässigen Rahmen
Kommunikation mit anderen Leistungserbringern
Gutes System, aber bisher wenige verlässliche Anbieter
Nutzung als „Message Bus“ (direktes Einlesen von eRezepten, direkte Erzeugung von Anforderungen)
Evtl. Routing an den Pflegeheimen durch „Mailregeln“ (z.B. wenn Betreff Patienten AB enthält, dann sende an Apotheke XY)
Aktuell wenige zuverlässige Anbieter
Keine ordentliche Integration in viele AVS, daher stand-alone-Lösung, bei der man eRezepte trotzdem drucken muss (oder den Scanner auf den Bildschirm hält)
Konnektor-Probleme schlagen 1:1 auf KIM durch
Zusätzlicher Dienstleister nur für KIM
Zusätzlicher Pflegeaufwand
Keine ordentliche Pflege der Daten durch Apotheken-Kammern
Kaum nutzbares Adressverzeichnis
Sehr lange KIM-Adressen, die dann per Fax an die anderen Leistungserbringer geschickt werden
Verwirrung durch Anbieter (z.B. GEDISA), die erst in der Pilotphase stehen
Verbesserungen im Verzeichnisdienst (VZD) sind geplant
Für Ärztinnen und Ärzte
Verfügbarkeit medizinischer Dokumente von anderen Heilberuflern
Vollständigere Informationsgrundlage, Bündelung aller relevanten Informationen an einem Ort (idealerweise)
Daten transparent und digital verfügbar
Dokumente sortiert, filterbar und suchbar nach Datum, Fachgruppe, Autor, Art des Dokuments etc.
Schließen von Informationslücken
Ganzheitliche Betrachtung ermöglicht bessere Behandlung/Diagnose
Geringerer administrativer Aufwand für Beschaffung von Fremddokumenten (z.B. Laborbefunde)
Intensivierung des qualifizierten Arzt-Patienten-Dialogs
Fragen von Patient:innen
Neuorganisation interner Prozesse: Abläufe im Arbeitsalltag, Berechtigungsmanagement (falls Patient dies nicht selbst macht)
Aktuell noch zeitaufwändig beim Upload der Dokumente (Metadatenvergabe)
System/TI zu langsam, schlechte Performance beim Herunterladen und Speichern von Dokumenten
Kaum strukturierte Daten (vor allem PDF-Ablage)
Eingeschränkte Suchmöglichkeiten (nur auf Basis der Metadaten, keine Volltextsuche)
Noch keine automatisierte Datenübertragung
Nur sehr wenige Patient:innen haben eine ePA, daher wenig Übung
Patient:innen können bestimmte Dokumente bewusst verbergen
Verbesserung der PVS durch Hersteller
Updates einspielen
Infos für Patient:innen zur Verfügung stellen
Interne Prozesse reorganiseren
Mit ausgewählten Patient:innen neue Prozesse üben
„ePA für alle“ ab 2025
Für Medizinische Fachangestellte (MFA) bzw. Praxisteams
Schnelle Verfügbarkeit von relevanten Informationen
Ggf. Verfügbarkeit von Informationen, auch wenn Patient:in gerade nicht in der Praxis ist (vor und nach dem Besuch)
Anfangsaufwand, Fragen von Patient:innen
Umstellung der internen Prozesse
Für Patientinnen und Patienten
Speichern eigener Dokumente möglich
Überblick über medizinische Dokumente
Vollständigere Informationsgrundlage
Bündelung aller relevanten Informationen an einem Ort (idealerweise)
Daten transparent und digital verfügbar
Ganzheitliche Betrachtung ermöglicht bessere Behandlung/Diagnose
Intensivierung des qualifizierten Arzt-Patienten-Dialogs
Registrierung für ePA bzw. ePA-App
Nutzung der ePA-App erlernen
Ärzt:innen zum Eintragen von Informationen bewegen bzw. Ärzt:innen finden, die das tun
Registrierung für ePA ist kompliziert
Geringer Bekanntheitsgrad
Sorge um Sicherheit der Daten
„ePA für alle“ ab 2025
Für Apothekerinnen und Apotheker und ihr Team
Verfügbarkeit medizinischer Dokumente anderer Heilberufler (z.B. Laborbefunde)
Daten transparent und digital verfügbar
Schließen von Informationslücken
Fragen von Kunden
Neuorganisation interner Prozesse (Abläufe im Arbeitsalltag, Berechtigungsmanagement)
Nur sehr wenige Patient:innen haben eine ePA, wenig Übung
Berechtigungserteilung ist ungewohnt und zusätzlicher Aufwand, Berechtigung per eGK und Kartenterminal verlangt zusätzlich die PIN (die die Versicherten i.d.R. nicht haben) – keine Entwicklungskapazitäten bei AVS-Anbietern
„ePA für alle“ ab 2025